EUROPA EXTREM

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ZWÖLF LÄNDER, 3700 KILOMETER, 46.000 HÖHENMETER, ALLEINE, FAST NONSTOP: DAS ‚TRANSCONTINENTAL RACE‘ GILT ALS HÄRTESTES RADRENNEN DER WELT. DER ERLEBNISBERICHT AUS DER SICHT DES SIEGERS.

CHRISTOPH STRASSER TRANSCONTINENTAL RACE
Fotos: Charlotte Gamus, Liz Seabrook, Luka Zavodnik, Beatrice Berlanda

Acht Tage und rund 3500 Kilometer nach dem Start beginnt die Hölle: Der Asphalt endet, der Schotter beginnt. Es ist zwei Uhr nachts. Der Schotterpfad wird immer schlechter und schmaler. Wurzeln, Sand, Kies, große spitze Steine. Ich bin müde. Doch ich muss weiter, immer weiter, weiter treten. Denn: Wenn ich zu langsam fahre, ist der Lichtkegel meiner Dynamolampe so schwach, dass ich gar nichts mehr sehe. Bei meiner zweiten Akku-Lampe, die ich dabeihabe, ist die Batterie leer. In dieser Nacht muss ich zum ersten Mal spontan eine kurze Schlafpause einlegen – die bislang einzige des ganzen Rennens. Die gewohnte lange Schlafpause habe ich dagegen ausgelassen. Ich fahre fast im Blindflug bergab – im Schritttempo. Und doch passiert es: Das Rad rutscht auf losem Schotter weg – ich stürze. Doch ich kann gerade noch abspringen und lande auf den Füßen. Ein Reifen ist platt. In der Dunkelheit wechsle ich den Schlauch, als mir etwas auffällt: Der für das Rennen vorgeschriebene GPS-Tracker ist nicht mehr an meinem Rad. Ich habe ihn bei dem Sturz verloren. Zwei Sekunden lang flutet Panik in mir auf – dann mache ich mich auf die Suche. Ich gehe umher, ich kniee und taste den dunklen Boden ab, ich krabble über Sand und Steine. Vergeblich.

Berge & Pannen

Irgendwann, nach fast einer Stunde, finde ich den Tracker zwischen größeren Steinen. Wieder drehe ich um – und gehe bergab. Zu Fuß. Ich habe mich dazu entschieden, nichts mehr zu riskieren. Und mein Rad zu schieben. Durchgehend, für die nächsten zehn Kilometer. Ich bin in der dunklen Hölle. Es geht steil bergauf, steil bergab – und der Weg wird immer schlechter. Ich schiebe mein Rad mehr, als ich es fahre. Ich schiebe es, bergauf und bergab. Ich bin seit acht Tagen unterwegs. Seit elf Ländern. Seit etwa 3550 Kilometern. Dies ist das Transcontinental Race, das längste Radrennen Europas und das wohl härteste der Welt. Der Startort: Geraardsbergen, Belgien. Das Extremrennen gibt es seit 2013. Seitdem führt die Strecke je über rund 3200 bis 4000 Kilometer einmal durch Europa. Die Top-Fahrer benötigen zwischen sieben und zehn Tagen für die gesamte Strecke. Dies ist meine zweite Teilnahme. Im Vorjahr war ich noch ein Anfänger: Es war mein erstes Unsupported-Rennen überhaupt. Alles allein zu machen – zu navigieren, planen, entscheiden, reparieren – war ich nicht gewohnt. Nach dem Start lag ich schnell weit zurück: Ich hatte bis zu 300 Kilometer Rückstand. Doch am Ende, nach neun Tagen und 14 Stunden, gewann ich das Rennen. Jetzt, in diesem Jahr, ist alles anders. Das Rennen ist von Beginn

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