Dreißig Jahre Verspätung

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MEIN ROMAN

Nach der Geburtstagsparty ihrer Freundin Marie erwacht Stella mit einem schlimmen Kater. Und dann will sich auch noch Piet mit ihr treffen, den Stella gestern wiedergesehen hat. Ist sie nicht zu alt für sowas?

Als Stella am Sonntagvormittag die Augen aufschlug, stellte sie fest, dass sie einen fürchterlichen Kater hatte. Stöhnend stand sie auf und machte sich auf die Suche nach Aspirin.

Draußen schien die Sonne, und eigentlich wollte Stella heute ins Fitnessstudio – doch allein bei dem Gedanken wurde ihr schon übel. Wie gut, dass ihre Tochter ausgezogen war, sie hätte gerade kein gutes Vorbild abgegeben. Und natürlich ärgerte sich Stella über sich selbst: Sie wusste doch, dass sie keine Dreißig mehr war und Alkohol einfach nicht mehr vertrug.

Aber es war ein wahnsinnig tolles Fest gewesen. Stellas alte Studienfreundin Marie hatte ihren 55. Geburtstag in einem der besten Restaurants der Stadt gefeiert, der Champagner war in Strömen geflossen, und am Ende hatten sie alle getanzt. Wie durch ein Wunder hatten sie sich verjüngt gefühlt und geglaubt, es noch mal genauso krachen lassen zu können wie früher. Was für ein Irrtum! Stella schrieb Marie eine Nachricht: „Bist du auch so krank?“ Marie antwortete sofort: „Und wie. Aber das war’s wert.“ Da war sich Stella nicht so sicher. Ihre Freundin schickte eine weitere Nachricht: „Piet fragt, ob er deine Telefonnummer haben kann.“

Piet war Maries ehemaliger WG-Mitbewohner, den Stella gestern Abend nach dreißig Jahren zum ersten Mal wiedergesehen hatte. Und trotz der grauen Haare und den Fältchen um die Augen war er noch immer der fröhliche Sonnyboy von einst. Stella hatte großen Spaß mit ihm gehabt, sie hatten viel miteinander getanzt. Und jetzt wollte er ihre Telefonnummer haben? „Piet ist ein Super-Typ“, schrieb ihr Marie jetzt. „Und er hat eine fiese Scheidung hinter sich. Also sei nett zu ihm.“

Hatte er nun ein falsches Bild von ihr?

Stella dachte einen Augenblick nach. Gestern Abend hatte sie sich sehr zu Piet hingezogen gefühlt, aber es war eben eine rauschende Party gewesen. Jetzt hatte er doch sicher ein völlig falsches Bild von ihr –Stella war längst nicht mehr das Feierbiest aus Studententagen, sie brauchte ihren Schlaf und ihren Sport, um ihren anstrengenden Alltag zu bestehen. „Wahrscheinlich würde er mich sowieso langweilig finden“, schrieb sie zurück.

„Unsinn“, erwiderte Marie sofort. „Ich gebe ihm jetzt mal deine Nummer.“

Keine zehn Minuten später meldete Stellas Telefon eine Nachricht von Piet. „Das war total schön gestern. Und ich würde dich gern wiedersehen. Heute Abend Essen gehen?“ Auf gar keinen Fall, dachte Stella – so mies, wie sie sich immer noch fühlte.

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