M! GAMES
25 October 2019

Reflexe sind essenziell bei Videospielen: Sie sichern das Überleben in Shoot’em-Ups und Ego-Shootern. Sie lassen uns in Musikspielen sowie Beat’em-Ups in Sekundenbruchteilen die richtigen Tasten drücken. Und sie garantieren, dass wir in ”Sekiro: Shadows Die Twice” auch die härtesten Bosse legen und in ”Gran Turismo Sport” neue Streckenrekorde aufstellen. Je schneller wir als Gamer reagieren, desto besser – eine simple Regel. Diese gilt allerdings nicht universell, zum Beispiel ist es in der Politik ratsam, erst mal ein paar Nächte über ein Ereignis zu schlafen und zu ­reflektieren, bevor man reflexartig das Twitter-Feuer eröffnet oder krude Thesen vor Kameralinsen ausbreitet. Leider ist Letzteres wieder einmal passiert, nach dem rechtsradikalen Anschlag in Halle, bei dem zwei Menschen ermordet wurden. Bundesinnenminister Horst ­Seehofer polterte in der ARD-Sendung ”Bericht aus Berlin” vom 13. Oktober: ”Viele von den Tätern oder potenziellen Tätern kommen aus der Gamer-Szene. Manche nehmen sich Simulationen geradezu zum Vorbild. Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation – oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag. Und deshalb müssen wir die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen.” Sinnfreie Behauptungen, die offenbar eine Stellvertreterdiskussion aus­lösen sollen, anstatt sich den tatsächlichen Problemen mit Rechts­radikalen und Neonazis zu widmen. Gaming ist längst in der Mitte unserer Gesellschaft verankert und Teil unserer Freizeitgestaltung – und zwar über Altersgrenzen hinweg. Daher ist es nur logisch, dass ”Täter oder potenzielle Täter” Kontakt mit Videospielen haben – genauso wie sie sehr wahrscheinlich einen Führerschein besitzen beziehungsweise schon mal einen Actionfilm gesehen haben. Und überhaupt: Was ist eigentlich ”die Gamer-Szene”? Wie groß ist sie? Gehören Ü60-Spieler dazu, die mit Nintendos Wii den Einstieg geschafft haben? Oder die organisierten E-Sportler, die sich in ”FIFA” messen respektive die ­Casual-Millionen, die täglich auf ihrem Smartphone daddeln? Sind ­”Fortnite” oder ”Call of Duty” noch ”Computerspiele, Simulationen” oder schon Mittel für ”eine verdeckte Planung für einen Anschlag”? Zugegeben: Wenn man nicht so videospielerfahrenen Personen aus dem Kontext gerissene Gewaltszenen aus etwa ”The Last of Us: Part II” (unser Top-Thema ab Seite 6) zeigt, kann durchaus ein falscher Eindruck von der ”Gamer-Szene” entstehen. Dass die kreativen Köpfe von Naughty Dog eine ganz andere Intention mit ihren expliziten Darstellungen verfolgen, erfährt man indes nur, wenn man sich mit dem Spiel näher beschäftigt oder am besten selbst Hand anlegt. Das haben wir getan – und uns in einigen Szenen ­äußerst unwohl, fast schon schmutzig gefühlt. Und bevor Ihr uns reflexartig erboste E-Mails oder Kommentare schreibt: Ja, wir haben die Auslieferung der M!-Abos ausnahmsweise um zwei Tage verschieben müssen. Die Embargo-Schuldigen heißen ”Call of Duty: Modern Warfare” und ”Luigi’s Mansion 3” – zwei Tests, für die sich die kleine Verspätung aber gelohnt hat, wie wir finden. Was meint Ihr?

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