Die Lebensund Leidensgeschichte eines Menschenopfers

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VITTRUP-MANN

Vor mehr als 5000 Jahren starb dieser Mann mit zer trümmer tem Schädel in einem dänischen Moor. Eine Studie zeichnet nun die Geschichte eines Fremden aus dem hohen Norden nach.

Im Jahr 1915 wurde der Schädel eines 30- bis 40-Jährigen im Moor gefunden. Die Brüche deuten auf einen gewaltsamen Tod hin – vermutlich wurde der Mann ein Menschenopfer.
FOTO: STEPHEN FREIHEIT; FISCHER, A. ET AL.: VITTRUP MAN–THE LIFE-HISTORY OF A GENETIC FOREIGNER IN NEOLITHIC DENMARK. PLOS ONE 19, 2024, FIG. 1 / CC BY 4.0

Spätestens mit Ende seiner Teenagerzeit hatte der Mann, dessen sterbliche Überreste 1915 in einem Moor beim dänischen Vittrup gefunden wurden, die Welt aus seinen Kindertagen hinter sich gelassen. Er lebte nun in einer gänzlich anderen Umgebung: Seine neuen Nachbarn hielten Tiere, anstatt auf dem Meer nach Robben zu jagen, sie bauten Pflanzen an, statt sie zu sammeln wie seine Eltern. Und auch äußerlich unterschied er sich von den hellhäutigeren Bauern, denen er bei seiner weiten Reise übers Meer in den Süden begegnet war.

Und spätestens mit 40 Jahren, vielleicht auch schon mit Anfang 30, endete sein Leben unter den Fremden. Acht mehr oder weniger gezielte Schläge einer Keule zertrümmerten seinen Schädel. Der Knüppel, der Jahrtausende später neben seiner Leiche im Moor gefunden werden wird, könnte das Instrument sein, mit dem seinem Leben ein Ende gesetzt wurde. Nicht auszuschließen, dass er bei einer Fehde getötet wurde. Oder bei einem Raubüberfall. Wahrscheinlicher aber ist es, dass sein Tod einen rituellen Hintergrund hatte: Der »Vittrup-Mann« dürfte eines der vielen Menschenopfer gewesen sein, die im Skandinavien jener Epoche in die Moore gelangten.

Wie er die Jahre dazwischen verbrachte, bei den Angehörigen der jungsteinzeitlichen so genannten Trichterbecherkultur, ist ungewiss. War er ihr Gefangener, ein Sklave, der zur Arbeit gezwungen wurde? War er seinen neuen Nachbarn sozial gleichgestellt, weil er ein Händler mit guten Kontakten war oder begehrtes nautisches Wissen mitbrachte? Zu wenig ist von seinem Skelett erhalten, um Genaueres über etwaige Härten oder Vorzüge während seiner Lebenszeit in Erfahrung zu bringen.

Dass er zum Menschenopfer wurde, sage jedenfalls nichts über seinen gesellschaftlichen Stand aus, erklären Anders Fischer und Karl-Göran Sjögren von der Universität Göteborg, die sich mit einem interdisziplinären Team auf die Spuren der Lebensgeschichte des Vittrup-Mannes gemacht haben. Manche Kulturen opferten die schwächsten Mitglieder ihrer Gesellschaft, andere brachten den Göttern die wertvollsten Opfer dar.

Einen Fischerjungen verschlägt es unter die Bauern

Im Fachmagazin »PLOS ONE« haben Fischer, Sjögren und ihre Kollegen nun detailliert zusammengetragen, welche Erkenntnisse sie aus dem erhaltenen Skelett, besteh

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