Die rätselhaften Beben vom Niederrhein

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DEUTSCHLANDS AKTIVSTE ERDBEBENREGION

Verheerende Erdbeben erschüttern immer wieder Deutschlands Westen – doch zwischen ihnen liegen Jahrhunder te der Ruhe. Ein tiefer Blick in die Vergangenheit soll Hinweise geben, wann das nächste droht.

Das hier ist wirklich ein Volltreffer«, sagt Klaus Reicherter und blickt auf eine steil abfallende Linie in einer glatt geschabten Grabenwand, an der Schichten aus gelbem Staub und schwarzem Ton gegeneinander verschoben sind. Mit Gummistiefeln und Helm steht der Geologe von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen in einem zweieinhalb Meter tiefen und rund 15 Meter langen Graben. Am Boden der Grube hat sich das Wasser in ausladenden Pfützen gesammelt, Schnecken und Würmer haben verschlungene Kriechspuren im zähflüssigen Schlamm hinterlassen. Kalter Wind treibt feinen Regen über die Landschaft.

Der Volltreffer, das ist die Feldbiss-Störung: eine rund 40 Kilometer lange Verwerfungszone, an der zwei Blöcke der Erdkruste sich gegeneinander verschieben und regelmäßig die Erde beben lassen. »Zwischen der Schicht auf dieser Seite der Verwerfung und der Fortsetzung dort unten liegt ein Höhenunterschied von etwa 60 Zentimetern«, sagt Reicherter. »Das entspricht ungefähr einem Erdbeben der Magnitude 6.« Etwa so stark war das Erdbeben von Amatrice in Mittelitalien im Jahr 2016, bei dem 300 Menschen starben.

Doch Reicherter vermutet, dass die Erdbeben hier ganz anderen Gesetzen gehorchen als in klassischen Erdbebengebieten wie zum Beispiel rund um den Pazifik. Er glaubt, dass bisher unbekannte Regeln darüber bestimmen, wann das nächste Erdbeben die Region im Westen Deutschlands trifft. »Das zyklische Erdbebenmodell versagt hier«, sagt er. Seine These: Die Erdbeben der Niederrheinischen Bucht treten nicht nach dem Muster von Spannungsaufbau und ruckartiger Entlastung auf. Stattdessen ruhen die Verwerfungen womöglich Zehntausende von Jahren, um dann eine ganze Serie von Erdbeben zu erzeugen. Doch wann ist es wieder so weit?

Starke Erdbeben am Niederrhein sind zwar relativ selten, aber wenn sie auftreten, können sie in der dicht besiedelten Region immense Schäden anrichten. Das wohl eindrücklichste Beben der jüngeren Zeit ereignete sich im Jahr 1992. Nahe der niederländischen Stadt Roermond, rund 50 Kilometer nördlich von Aachen, riss die Erdkruste an einem dieser Brüche in 18 Kilometer Tiefe auseinander und sackte mit einem Ruck um knapp einen halben Meter ab.

DIE FELDBISS-STÖRUNG | Die schwarze Linie zeigt den Verlauf der Verwerfung. Die verschobenen Sandschichten zeigen, dass der Boden auf der linken Seite einst etwa einen halben Meter absackte.
LARS FISCHER

Über die schwersten Beben weiß man am wenigsten

Die Erschütterung hatte eine Stärke von 5,8 auf der Moment-Magnituden-Skala – etwas schwächer als jene Beben, deren Sp

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