Als Passau in den Abgrund blickte

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RÖMISCHES REICH

Als das Ende des Römischen Reichs nahte, brachen Chaos und Gewalt über die Bevölkerung herein. Was damals vor mehr als 1500 Jahren am Donaulimes geschah, beschrieb ein Mönch in einer Heiligengeschichte. Zwischen den Zeilen.

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Tobias Sauer ist Journalist. Er hat Politologie, Geschichte und Ethnologie studiert.

Irgendwann um das Jahr 476 wurde aus Ungeduld erst Sorge und aus Sorge schließlich Angst. Schon seit Monaten hatten die römischen Soldaten der Garnison von Batavis keinen Sold mehr erhalten. Doch ohne Geld blieb ihnen keine andere Wahl, als sich eine neue Arbeit zu suchen. Die Mauern der Stadt, die heute Passau heißt, wären dann unbewacht gewesen, die Bürger Batavis ungeschützt. Und nicht nur sie – auch die Frauen und Kinder der Soldaten.

Dabei war es gerade in diesem Moment geboten, die Siedlung zu sichern. Hier an der Donau endete das Römische Reich. Auf der anderen Seite des Flusses kommandierten Kleinfürsten ihre Truppen undwarteten nur darauf, dass sich ihnen eine Chance zum Überfall bot. Um zu stehlen, zu vergewaltigen und zu morden. Die Bewohner von Batavis waren verzweifelt. Und so überlegten die Soldaten, was sie tun könnten. Sie entschieden sich für einen waghalsigen Plan: Eine Gruppe von ihnen sollte über die Alpen ziehen, um beim Kaiser in Rom den Sold einzutreiben. Angesichts der Entfernung war klar, dass es eine gefährliche Mission mit zweifelhaftem Ausgang werden würde.

Von dem dramatischen Versuch der Garnisonssoldaten, ihre Stadt zu retten, berichtet der Mönch Eugippius. Um das Jahr 510 schrieb er die Lebensgeschichte eines Mannes auf: Severin von Noricum. Rund 15 Jahre lang, zwischen 467 und seinem Tod im Jahr 482, hielt sich der später heiliggesprochene Eremit Severin in der Gegend um Batavis auf, wie es der Historiker Friedrich Lotter (1924–2014) in vielen Beiträgen darlegte. Batavis war Teil des gewaltigen »Donaulimes«, dessen westliche Überreste seit 2021 zum UNESCO-Welterbe gehören. Zahlreiche Kastelle und Garnisonen zwischen Regensburg und dem Flussdelta im heutigen Rumänien sollten die Grenze des Römischen Reichs sichern.

Was eine Heiligenbiografie über den Alltag der Menschen verrät

Eugippius' Lebensbeschreibung, die »Commemoratorium vitae sancti Severini« oder »Vita sancti Severini«, ist ein aufschlussreiches historisches Dokument. Darin beschreibt der Mönch zwar vor allem das gottgefällige Wirken Severins, aber dazwischen blitzen immer wieder alltägliche Ereignisse auf – wie das Ausbleiben des Solds. Eugippius schildert also zwischen den Zeilen das Leben der Bevölkerung. »Für diese Gruppe fehlen uns normalerweise die Quellen«, sagt Henning Börm, Althistoriker an der Universität Rostock. Noch dazu deckt die »Vita« einen entscheidenden Zeitraum ab: Im Jahr 476, während Severin an der Do

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