Wolframs Suche nach einer Weltformel der Physik

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MATHEMATISCHE UNTERHALTUNGEN

Stephen Wolfram hat das Arbeitsprinzip seiner Universal-Software Mathematica zu einem Formalismus erweiter t, der buchstäblich die ganze Welt erklären soll.

STEPHEN WOLFRAM (2020) / FINALLY WE MAY HAVE A PATH TO THE FUNDAMENTAL THEORY OF PHYSICS… AND IT′S BEAUTIFUL, STEPHEN WOLFRAM WRITINGS

Welchen Gesetzen gehorcht die Natur um uns? Bekanntlich hat ein Gelehrter namens Heinrich Faust dieser Frage sein Leben gewidmet und damit Anlass zu einem der größten Werke der Literatur gegeben.

Leider ist die Antwort der modernen Physik so gar nicht poetisch. Sie lautet im Wesentlichen »Differentialgleichungen«. Um zu erkennen, »was die Welt / im Innersten zusammenhält«, müssen wir unsere Seele heute zwar nicht mehr dem Teufel verschreiben, aber damit leben, dass alle Bewegung davon abhängt, wie gewisse mathematische Funktionen, so genannte Felder, sich in der Umgebung eines Punktes verändern – einer »unendlich kleinen Umgebung«, um genau zu sein.

Und auch diese Formulierung ist nur eine unsaubere Ausdrucksweise für das, was Mathematikerinnen und Mathematiker einen Grenzwert nennen, ein Konzept, das seinerseits erst mehrere Jahrhunderte nach seiner ersten Verwendung eine logisch einwandfreie Formulierung fand. Die darauf aufbauende Differential- und Integralrechnung feiert spektakuläre Erfolge bei der Beschreibung aller physikalischen Phänomene, hinterlässt jedoch gelegentlich ein gewisses Unbehagen, eben weil ihre Fundierung bei aller Unanfechtbarkeit mühsam und alles andere als unmittelbar eingängig ist.

Christoph Pöppe war Redakteur bei Spektrum der Wissenschaft, zuständig vorrangig für Mathematik und Informatik.

Kann es sein, dass die reellen Zahlen nicht die richtige Beschreibung des uns umgebenden Raums liefern? Dass auf einer extrem kleinen Längenskala zwischen zwei Punkten nicht ein ganzes Intervall mit unendlich vielen weiteren Punkten liegt, sondern einfach gar nichts? Dann wäre die Welt nicht so kontinuierlich glatt, wie wir sie uns vorstellen, sondern tief im Innersten »körnig« wie unvorstellbar feines Mehl. An die Stelle der räumlichen Ableitungen, die in den Differentialgleichungen eine prominente Rolle spielen, treten Differenzen zwischen dem Wert des Feldes in einem Punkt, den man jetzt Zelle nennt, und den Werten in den unmittelbaren Nachbarzellen. Damit erübrigt sich jeder Grenzwertprozess.

Nachdem man schon den Raum gekörnt hat, lässt sich ein Gleiches mit der Zeit tun. Die fließt dann nicht mehr gleichmäßig, sondern tickt wie eine alte Pendeluhr –aber eben so schnell, dass die einzelnen Pendelausschläge ins Unmerkliche verschwimmen. Zu jedem Tick holt eine Zelle die Information über den Zustand ihrer Nachbarn ein und berechnet daraus den Zustand, den sie zum nächsten Tick einnimmt.

Die Welt als zellulär

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