Homo sapiens kam Jahrtausende früher

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Bereits vor mehr als 45 000 Jahren breiteten sich moderne Menschen im nördlichen Mitteleuropa aus. Obwohl es damals bitterkalt war. Das belegen Neufunde – aus Thüringen.

 
MARCEL WEISS, FRIEDRICH-ALEXANDER-UNIVERSITÄT (FAU) ERLANGEN-NÜRNBERG / GRABUNG IN DER ILSENHÖHLE / CC BY-ND 4.0 (AUSSCHNITT)

Roland Knauer ist Wissenschaftsjournalist in Lehnin.

Die Hoffnung auf einen Ausnahmefund war nicht allzu groß, als die Archäologen im Herbst 2015 unterhalb der Burg Ranis im Osten Thüringens mit ihren Arbeiten begannen. Doch gut acht Jahre später war ihnen gelungen, was sie nicht zu träumen gewagt hatten. Ihre Funde bezeugten: Der anatomisch moderne Mensch, Homo sapiens, war bereits vor mehr als 45 000 Jahren – und damit sehr viel früher als bislang bekannt –weit nach Westen und Norden in die kalten Steppen der Eiszeit vorgedrungen, die damals Mittel- und Nordwesteuropa prägten. Das berichtet nun eine große Forschungsgruppe um Jean-Jacques Hublin, ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (EVA), in drei zusammenhängenden Beiträgen – in einer Studie in »Nature« sowie in zwei Fachartikeln in »Nature Ecology &Evolution« (hier und hier).

»Das ist eine sehr gute Studie, nach der Homo sapiens einige Jahrtausende früher als bisher gedacht in Mitteleuropa war«, erklärt Olaf Jöris. Der Archäologe forscht über die europäische Steinzeit am MONREPOS, dem Archäologischen Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution in Neuwied, war aber an den nun veröffentlichten Forschungen nicht beteiligt.

Die frühe Ankunft der modernen Menschen im damals eiskalten Mitteleuropa wirft zudem ein Schlaglicht auf das Verschwinden der Neandertaler.

Offenbar war Homo sapiens zu einer Zeit in diesen Breiten aufgetaucht, als auch die Neandertaler noch auf dem Kontinent umherstreiften. Ihre jüngsten Überreste aus Südwesteuropa datieren Fachleute in eine Phase vor 42 000 Jahren.

Wer hatte die Technik des Lincombian-Ranisian-Jerzmanowician erfunden?

Wenige Jahrtausende vor dem Verschwinden der Neandertaler waren Gruppen in einem Streifen von Europa unterwegs gewesen, der vom Süden des heutigen Polen über Thüringen und Belgien bis in den Süden Englands reichte. Die Hinterlassenschaften jener Menschen in diesem Gebiet bereiteten Forscherinnen und Forscher bisher einiges Kopfzerbrechen. Es handelt sich um Steinklingen, die auf beiden Seiten fein bearbeitet wurden und wohl als Speerspitzen dienten. Archäologen bezeichnen die Art, wie sie zugerichtet sind, und die zugehörige Kultur – heute spricht man auch von Technokomplex – als Lincombian-Ranisian-Jerzmanowician (LRJ). Waren es die alteingesessenen Neandertaler gewesen, die diese Technik entwickelt hatten? Oder steckte Homo sapiens hinter den neuarti-gen Blattspitzen? War er bereits so weit

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