Neuer Szene-Tempel

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Athen – das neue Berlin? Warum Künstler und Kreative jetzt in Griechenlands Metropole ziehen, erzählt eine Insiderin

TEXT: Julia Werner

Oben ist immer besser als unten, das weiß man nicht nur in Athen.
Und trifft sich zum Sonnenuntergang zum Beispiel auf dem Kalksteinfelsen Areopag.
FOTOS: GRAVANIS THOMAS, ADOBE STOCK

Athen ist ein lauter, schmutziger, nach Abgasen stinkender Moloch. Man sollte es eigentlich nur kurz auf dem Weg zu einer pittoresken Kykladeninsel besuchen, um die Akropolis abzuhaken. Das hätte ich vor einem Jahr wahrscheinlich noch genau so gesagt. Damals lebte ich 30 Minuten südlich der Stadt, in Vouliagmeni, einer Art Möchtegern-Saint-Tropez mit allerlei Beachclubs. Dort ist es grün, das Wasser türkis und die Menschen unglaublich reich. Es ist aber auch langweilig, wenn man noch nicht in Rente ist, weswegen ich jetzt doch in Athen lebe, und zwar in Kolonos. Da, wohin sich bis jetzt kein Tourist und auch keine Cold Brew Coffee Bar verirrt haben. Statt Meer sehe ich dicht aufeinandergestapelte Wohnungen. Statt salziger Luft wabert mir an manchen Tagen nichts anderes als Katzenpipi in die Nase, und in dem Moment, in dem ich mal wieder in Souflaki-Reste trete, die viele Bewohner den armen hinwerfen, denke ich: Das halte ich nicht länger aus, ich muss hier raus. Aber dann strömt mir der frische Duft von aufgehängter Wäsche auf den Balkonen in die Nase. Das ist Athen. Aus der größten, teerschwarzen Misere blüht plötzlich ein Jasminstrauch, überrascht einen ein sanierter Park, der gestern noch eine Müllhalde war. Gerade freue ich mich wie verrückt, dass in meinem Viertel das „Ton Filon“ wieder eröffnet. Junge Köche haben die alte Taverne übernommen und zum Glück alles so gelassen, wie es war, inklusive alter Fässer und Kitschgemälden an der Wand. Aber jetzt gibt es weiße Tischdecken und eine Weinkarte.

Athen macht es einem nicht leicht. Es ist die Stadt, die nur die belohnt, die nicht aufgeben. Und laufen, bis sie einen Schatz heben. Einer der spannendsten Spaziergänge führt von der Niarchos-Stiftung, einem von Renzo Piano erbauten Kulturzentrum, unten am Meer durch das manchmal schreckliche, manchmal wunderschöne Kallithea.

Natürlich stelle ich mir immer wieder die Frage, wie ich in diesem Chaos eigentlich gelandet bin. Bei mir war es Zufall. Ich kam während des zweiten Coronalockdowns, für ein Leben unter der Sonne (ja, die scheint fast immer). Man trotzt Hitzewellen, Touristenmassen, Chaos. Und man bleibt, wegen der Energie. Nicht zu wissen, wie das Projekt Athen

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