„Ich suchte Heimat – und fand das Schreiben”

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Reportage

Das Glück der Worte

Früh fühlt Doris Hönig (50), dass sie nicht an den Ort gehört, wo sie geboren wurde. Heute ist sie nicht nur angekommen, sie hat auch eine Mission

Rein äußerlich stimmt alles. Das Dörfchen Weißensee, in dem ich aufwachse, liegt am Rande der Alpen in einem der schönsten Urlaubsgebiete.

Liebevolle Eltern, ein behütetes Familienleben mit zwei Schwestern. Dennoch besorgt mich früh das Gefühl, am falschen Platz zu sein. Die Berge so mächtig, dass sie mich zu erdrücken scheinen. Die Vorstellungen mancher Menschen, wie das Leben zu sein hat, so eng, dass sie mir die Luft zum Atmen nehmen. Ich spüre, anders zu sein als die meisten, das macht mich traurig. Was stimmt nicht mit mir? Es dauert lange, bis ich verstehe: Mit mir ist nichts falsch. Für mich ist Heimat aber kein Ort. Sie ist eine Leidenschaft – nämlich das Schreiben.

Je größer mein Radius, desto näher komme ich mir

Nach der Schule und einer Schreiner-Lehre ziehe ich nach Berlin. Genau dort möchte ich Architektur studieren. Die Energie der Stadt reißt mich mit sich. Die Kreativität und der Input, die mir überall begegnen, zeigen: Es gibt so viel mehr, als ich ahnte! Ich stürze mich mitten hinein in meinen neuen Alltag, in dem es kaum Beschränkungen gibt. Die Offenheit der Menschen, die Möglichkeiten, meinen Horizont zu weiten … Genau so stelle ich mir mein Leben vor.

Als sie an den Plöner See in Schleswig-Holstein zog, fand Doris Hönig zu ihrer wahren Leidenschaft

Heiraten und Kinder waren nie mein Traum. Ich habe einige Beziehungen, aber meine Sehnsucht gilt immer der Freiheit. Nach dem Studium bleibe ich in Berlin, arbeite in einem Architekturbüro, übernehme dann die Leitung für ein Bauprojekt in der Schweiz. Vier Jahre lebe ich in Zürich. Je größer mein Radius, desto näher komme ich mir selbst.

2006 wache ich morgens auf und weiß: Ich muss schreiben! Noch im Schlafanzug klappe ich meinen Laptop auf und tippe darauflos. Ich denke kaum über den Inhalt nach, die Sätze scheinen von allein zu mir zu kommen. Ich fühle mich erfüllt: Was für eine Freude, mit den Formulierungen zu spielen! Indem ich ein Wort hinzufüge oder weglasse, kann ich den Sinn verändern und präzisieren. Was war passiert? In der Nacht hatte ich geträumt, dass Schreiben meine Berufung ist. Kein Zweifel, das ist der richtige Weg! Obwohl ich nie zuvor das Bedürfnis hatte zu schreiben und in der Schule in Deutsch eher mittelmäßig war…

Von da an purzeln in jeder freien Minute Buchstaben aus mir heraus. Einige Erzählungen schicke ich an Verlage. Die Absagen halten mich nicht davon ab, weiterzumachen. Immer wohler fühle ich mich in meiner Haut. Nirgends bin ich geborgener als beim Schreiben. Als mir mein Chef anbietet, in seinem Häuschen an der Schlei, einem Meeresarm der Ostsee, Urlaub zu machen, erlebe ich d

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