Bekenntnisse einer Angsthäsin

2 min lesen

Psychologie

Früher war man für jedes Abenteuer zu haben. Mit zunehmendem Alter verlässt einen bei vielen Dingen der Mut. Schade eigentlich

„Du brauchst nur ein Prozent mehr Mut als Angst”, weiß unsere Autorin, „um kein Hasenfuß zu sein”
FOTO: ADOBE STOCK

Kürzlich traf ich meine Nachbarin, die ebenfalls gerade in die Stadt wollte. „Nehmen wir uns doch E-Scooter!“ Vor ein paar Jahren hätte ich spontan Ja gesagt und mir vorgestellt, wie ich lässig über das Elend mit dem öffentlichen Nahverkehr und Parkplatzmangel hinweggleite. Heute meldet sich eine warnende Stimme: „Lass das.“ Die Stimme gehört einer Art Helikoptermutter für Er wachsene, die mir eindringlich von allem, was aufregender ist, als im Schwimmbad Bahnen zu ziehen, dringend abrät. Und bei der Aussicht auf eine E-Scooter-Fahrt souffliert: „Du weißt schon, dass die Dinger allein in einem Jahr elf Tote und knapp 8800 Verletzte verursacht haben?“

Ich frage die Angsthäsin in mir: Wo warst du eigentlich früher? Als ich freihändig Fahrrad fuhr, ohne Helm? Als ich so was nicht mal besaß? Als ich in Kanada Wildwasserrafting gemacht habe (Schwierigkeitsgrad IV!) und an einem Seil mit etwa 50 Stundenk ilometern über eine tiefe Schlucht gerauscht bin? Einmal wurde ich in Tirol nach zwei Tagen Skianfängerkurs bei einem Skilehrer mit schweren A lkoholproblemen auf einer schwarzen Piste ausgesetzt – und bin runtergeprescht. Heute würde ich die Berg wacht rufen und auf den Hubschrauber warten, der mich dort abholt. Die Angsthäsin würde mir Vorwürfe machen: „Warum bist du überhaupt hier? Weißt du eigentlich, wie alt du bist?“

Klar, ich bin mehr als doppelt so alt wie meine Nachbarin und hatte also doppelt so viel Zeit zu erfahren, was alles passieren kann. Ich weiß heute: Nur Idioten haben keine Angst. Und Mut ist oft nichts weiter als ein Mangel an Fantasie. Natürlich bin ich vorsichtiger als damals. Nicht weil ich das Leben so furchterregend finde. Im Gegenteil: Ich finde es so schön, dass ich noch möglichst lange etwas davon haben will. Idealerweise in einem Zustand, in dem man es genießen kann. Es ist also normal, wenn die Furcht mit den Jahren wächst. Das bestätigt eine Studie des Leipziger Forschungszentrums für Zivilisationserkrankungen – kurz LIFE. A llerdings zeigte sich bei den Ergebnissen auch, dass man es nicht übertreiben sollte. Denn mit mehr Angst würden mehr körperliche Beschwerden und eine geringere Lebenszufriedenheit einhergehen. Darüber sollte ich mir Sorgen machen!

Wer sich nur einigelt, jedes Mikro-Abenteuer meidet, den R isikomuskel verkümmern lässt, wird immer unsichere

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel