Mit Gänsehaut ins eisige Wasser

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Mitten im Leben

Eisbaden – total verrückt oder richtig gut?

Leistungssportler und Fitness-Fans schwören drauf, manche Kliniken setzen sie als Therapie ein: Eisbäder sind der neueste Trend. Ob in der Natur oder in einer Tonne: Was ist dran am Baden im eiskalten Nass? Reporterin Christine Bollhorn wagte den Selbstversuch

Das Thermometer zeigt ein Grad Außentemperatur. Nebelschwaden wabern über dem See. Ein Graureiher sitzt auf einer hölzernen Bade-Insel und schaut interessiert herüber. Es ist zehn Uhr morgens. Im Bikini und mit Gänsehaut am ganzen Körper stehe ich am Uferrand und frage mich: Worauf habe ich mich hier bloß eingelassen?

Eisbaden heißt der neue Trend. Leistungssportler schwören darauf. Es am Neujahrsmorgen zu tun, hat in vielen Regionen Tradition. Auf Social Media finden sich unzählige Fotos und Videos von Menschen in einer Eis-Tonne. Und als mir zwei Freundinnen von ihren Badeerlebnissen im Winterwasser erzählen, will ich es wissen …

Ein Heilpraktiker empfahl Melanie die „Wim-Hof-Methode“

Heute Morgen stehe ich, Chefreporterin Christine Bollhorn (57), mit Melanie Roling (49) an einem Badeteich im Landkreis Harburg. Melanie arbeitet als Gymnasiallehrerin für Englisch und Sport, ist an ihrer Schule außerdem Beratungslehrerin sowie Achtsamkeitstrainerin und Trainerin für Mobbing-Intervention. Sie hat das Eisbaden 2020 für sich entdeckt.

Der Grund war ein medizinischer. „Bei Stress hatte ich extreme Atemprobleme. Ich konnte gefühlt nur bis in den Hals atmen, nicht in den Oberkörper. Das hat mich sehr beeinträchtigt. Ein Heilpraktiker empfahl mir die Wim-Hof-Methode“, erzählt Melanie.

Wim Hof, vielen bekannt als „Eismann“, hat die Methode entwickelt. Sie beruht auf drei Säulen: Atemtechnik, um das Energielevel zu steigern und den Geist zu fokussieren. Kälte, um das Herz-Kreislauf-System zu stärken. Und Geisteshaltung, um sich auf persönliche Ziele auszurichten. Wim Hof hielt mit dieser Methode knapp zwei Stunden in einem Eisbad aus, lief bei minus 20 Grad einen Halbmarathon barfuß durch arktische Eisfelder und bestieg den Kilimandscharo nur in Shorts und Schuhen. Hof unterrichtet seine Techniken in Seminaren überall auf der Welt. Die verblüffenden Wirkungen dieser Methode wurden bisher durch acht wissenschaftliche Studien renommierter Universitäten bestätigt.

Melanie nahm an einem Wim-Hof-Wochenendseminar teil und geht seither dreimal die Woche zum Eisbaden. „Ich kann endlich wieder tief durchatmen, bin erheblich stressresistenter geworden und genieße die innere Ruhe nach dem Bad“, erzählt sie begeistert. Und sie missioniert, wo sie kann. „Ich hoffe immer, dass es niemanden nervt, aber ich kann nicht anders, als allen davon zu erzählen“, sagt sie lachend. Auch mich hat sie überredet. Darum stehe ich heute hier – und bibbere. Der schwerste Teil liegt noch vor mir

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