VERWIRRUNG, KLARHEIT, EINHEIT

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QUELLENTEXTE DER YOGAPHILOSOPHIE, TEIL 3

VIER NATH-TEXTE ÜBER HATHA-YOGA

Ist Hatha-Yoga modernes Yoga? Ist es richtig, dass der Körper so im Mittelpunkt steht? Ein guter Weg, sich diesen Fragen zu nähern, sind die historischen Texte der Nath-Yogis, von denen die Hatha Yoga Pradipika (HYP) wahrscheinlich der bekannteste ist. Alles Theorie? Mitnichten! Wir nutzen sie für unsere Praxis, denn „das Lesen alleine bringt keinen Erfolg“, wie schon die Pradikipa weiß.

Diese und die Abbildungen auf den folgenden Seiten stammen aus einer Yoga Pradipika des 19. Jahrhunderts. Jedes der Symbole auf diesem Bild zeigt eine spezifische Wirkung der Hatha-Praxis auf den Körper.
BILDER: BRITISH LIBRARY

Da hab ich mir ja was aufgehalst, denke ich, während ich die Goraksha Shataka auf dem Sitzfahrrad im Gym sitzend lese. Es ist der Nath-Text, den ich am wenigsten kenne bisher. Die Hatha Yoga Pradipika habe ich schon mal komplett übersetzt und unterrichte sie regelmäßig in unserem Teacher Training. Die Gheranda Samhita und die Shiva Samhita besitze ich als englische Ausgaben seit etwa 10 Jahren und habe sie mehrfach gelesen. Für diesen Artikel nehme ich alle vier noch mal genauer unter die Lupe – und erwische mich bei wechselnden Gefühlen. Das kann durchaus passieren, wenn man die traditionellen Yogatexte des alten Indien rezipiert und deshalb beschreibe ich mal kurz meine Kontemplationen dazu, denn solche Reaktionen sind ganz normal und sollten uns nicht vom Studium der Weisheitslehren des Yoga abhalten:

1. Verwirrung: Im Gegensatz zum angenehmen Gefühl von Klarheit wühlt die Verwirrung Geist und Emotionen auf. Ich bin verwirrt, weil ich die Texte ziemlich unsystematisch finde. Weil ich die altindischen Symbole nicht kenne.

2. Ärger: Ich gehöre definitiv nicht zur Zielgruppe der Texte, denn sie sind eindeutig für Männer verfasst. Auch die Sprache ist recht maskulin (was in den Übersetzungen deutlicher ist als im Original-Sanskrit). Harsch anmutende Anweisungen, Verbote, Praktiken, die Energien willentlich dominieren. Und immer wieder: Penis, Penis, Penis. Ich bleibe an den misogynen Stellen hängen, in denen Frauen als Ablenkung, Bedrohung, Objekt zur Ausführung von sexuellen Mudras beschrieben werden. Ich beginne zu überlegen, ob ich den Artikel absagen kann …

3. Neugier: Wo ist der rote Faden? Was ist in den Texten gleich, was unterschiedlich? Wo liegt der Kern der Hatha-Lehre in der Tradition der Nath?

4. Beklemmung: Die Warnungen zu den subtileren Techniken, bei denen man in die tiefsten, vegetativen Körperfunktionen eingreift, sind gruselig. Auch, wenn die Funktionalität der Natur entspricht, ist das bestimmt mit Vorsicht und Respekt zu genießen. Es ähnelt der medizinischen Wirkung von Giftpflanzen: Man muss die passende, individuelle Dosis kennen, damit die Wirkung positiv ist. Sonst ist die M