„Wir rasen nicht auf der Überholspur, wir genießen unsere Landstraße“

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Er ist ein Wunschkind – und wird es immer bleiben: Loslassen ist für Justins Mutter Nicole Kultau (54) nämlich keine Option. Glück schon

Wenn du es in der Schwangerschaft gewusst hättest, hättest du abgetrieben? Wie oft musste sich Nicole Kultau schon diese Frage anhören. „Das ist hässlich und tut so unfassbar weh! Einmal sagte ein Angehöriger mir ins Gesicht, dass man so einem Kind früher ein Kissen auf den Kopf gedrückt hätte.“ So ein Kind – das ist ihr Sohn Justin. 26 Jahre jung und wie die Aschaffenburgerin heute sagt: „Mein Lebensgeschenk!“

In der Zeit der Ungewissheit steht ihre Ehe vor dem Aus

Justin war ein Wunschkind. Nach seiner Geburt wurde geheiratet. Mutter, Vater, Kind – gleich heile Familie? Wäre da nicht ihr komisches Gefühl gewesen: „Unser Sohn bewegte sich viel weniger als gleichaltrige Babys, reagierte nicht auf Ansprache.“ Doch die Kinderärztin sagte nur: „Entspannen Sie sich! Ist halt ein Spätentwickler …“ Nicole geht trotzdem zum Kinderneurologen. Justins Gehirn sei nicht vollständig ausgebildet, man sehe erweiterte Zwischenräume. Der Professor rät der Mutter: „Physiotherapie und viel schwimmen gehen!“ Aber was bedeutet die Diagnose für Justins Zukunft?

Konfetti-Momente: Mutter und Sohn kochen oft und gern gemeinsam und freuen sich schon auf den nächsten Konzertbesuch
Fotos: Jenny Klestil, shutterstock

Quälende Ungewissheit nagt an der Mutter, als ihr Ehemann das Gefühlschaos toppt: „Er hatte sich in die Frau seines besten Freundes verliebt, spielte lange ein perfides Spiel mit mir: dass er nur mich liebe, wieder zurückkäme …“ Aber was er sehr offensichtlich nicht mehr wollte: Vater sein! „Nach unserer Trennung besuchte er Justin immer seltener.“ Unterhaltszahlungen kommen größtenteils Wochen bis Monate verspätet. Bei einem Gerichtstermin Jahre später begrüßte er sein eigenes Kind per Handschlag.

Alleinerziehend, Angst um das Baby, finanzielle Sorgen: „Rückblickend war diese Zeit der absolute Tiefpunkt meines Lebens“, sagt die Mittfünfzigerin heute. Nicole sehnt sich nach Geborgenheit, zieht zurück in ihre hessische Heimat, beantragt Sozialhilfe und reicht die Scheidung ein. „Das Beste war, dass ich eine fantastische neue Kinderärztin fand, die weitere Untersuchungen anschob.“

Endlich Klarheit, auch wenn die Worte, die nach dem MRT im Arztzimmer auf sie einprasseln, Unbegreifliches vorhersagen: „Dieser Junge wird niemals einen Baum von einem Haus unterscheiden können. Er wird nie laufen, nie sprechen. Und er wird Ihnen niemals zeigen können, dass er sie liebt!“ Und Nicole? Hält ihr Baby auf dem Schoß, spürt seine Wärme, atmet seinen Duft ein und merkt, wie sich in ihr Widerstand regt: „Das Wort Trotz trifft es ganz gut. Ich spürte eine tiefe Gewissheit, dass mein

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