Seltsame Ringe stellen zentrales Konzept der Chemie in Frage

7 min lesen

CYCLOCARBONE

Eine neue Form des elementaren Kohlenstoffs zeigt ein bekanntes Phänomen auf unerwar tete Weise. Die Bindungen der Cyclocarbone ähneln Aromaten wie Benzol – und sind doch ganz anders.

SAICLE / GETTY IMAGES / ISTOCK

Auf den ersten Blick sehen Cyclocarbone fast langweilig aus: Ringe, in denen sich ein Kohlenstoffatom an das andere reiht, verknüpft abwechselnd durch Dreifach- und Einfachbindungen – oder durch eine ununterbrochene Abfolge von Doppelbindungen. Je nachdem, wie man das Ganze betrachtet. Doch der einfache Schein trügt. Jahrzehntelang war es unmöglich, solche Verbindungen herzustellen. Erst in den letzten Jahren ist es Chemikern gelungen, die Synthese so weit zu treiben, dass sie solche neuen molekularen Formen reinen Kohlenstoffs erforschen konnten. Und einige der so gewonnenen Erkenntnisse könnten ein zentrales Konzept der Chemie völlig umkrempeln: das der Aromatizität.

Die Idee, dass Cyclocarbone eine weitere Erscheinungsform des elementaren Kohlenstoffs sein könnten – ein so genanntes Allotrop –, fasziniert Fachleute schon lange: »Die meisten Chemiker fühlen sich von Schönheit und Symmetrie angezogen«, sagt Rik Tykwinski, ein Experte für physikalische organische Chemie von der University of Alberta in Kanada. Schon in den 1960er Jahren testete der Nobelpreisträger Roald Hoffmann an den Cyclocarbonen seine Modellrechnungen zur Aromatizität. Damals bestanden die Moleküle aber nur in der Theorie, und über ihre Bindung, Geometrie und Aromatizität war kaum etwas bekannt. Vorhersagen über ihre Eigenschaften waren oft widersprüchlich und umstritten. »Man rechnet mit einer Methode, dann kommt dies heraus. Man rechnet mit einer anderen, dann kommt jenes heraus, vielleicht sogar das Gegenteil«, erklärt Tykwinski. »Solange man das Molekül nicht herstellt, lassen sich viele Fragen nicht beantworten.«

Den Beweis, dass Cyclocarbone tatsächlich existieren, erbrachten Experimente in den 1980er Jahren, bei denen die ringförmigen Verbindungen als Spurengase entstanden. 1989 präsentierten François Diederich und sein Team von der University of California in Los Angeles, die erste gezielte Synthese von Cyclo[18]carbon (C18 ) in der Gasphase. Einige Jahre zuvor war auch das Buckminsterfulleren erstmals synthetisiert worden, ein kugelförmiges Molekül aus 60 Kohlenstoffatomen. Einige Chemiker dachten daraufhin, Cyclocarbone könnten ein weiteres stabiles Allotrop von Kohlenstoff darstellen. Doch ganz so einfach war es nicht. Es sollte noch 30 Jahre dauern, bis Harry Anderson von der University of Oxford in England, einst Postdoc in Diederichs Gruppe, C18 in nichtgasförmiger Form herstellte. Die dazu nötigen Experimente erforderten kryogene – also extrem niedrige – Temperaturen, und das Material musste auf einer kristallinen Oberfläche stabilisiert werden.

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel