»Die Gründe für die Misere der Bahn sind teils 120 Jahre alt«

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SCHIENENVERKEHR

Unpünktlich, überlastet, veraltete Technik – die Deutsche Bahn macht keine gute Figur. Woran das liegt und warum nun selbst Tricksereien nicht mehr helfen, erklärt Verkehrswissenschaftler Ullrich Martin.

Katharina Menne ist Redakteurin für Physical Sciences und Biologie.
BALKANSCAT / GETTY IMAGES / ISTOCK

Die Deutschen beschweren sich gerne – besonders über die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn. Zu Recht? Ein Blick in Statistiken sagt: Ja. Im europäischen Vergleich kamen bereits im Jahr 2012 nur in Portugal und Litauen noch weniger Züge pünktlich an ihrem Zielort an als in Deutschland. Die Schweiz etwa will deshalb deutsche Fernverkehrszüge künftig nur noch bis Basel fahren lassen anstatt bis nach Zürich oder Chur. Die verspäteten ICEs bringen den fein abgestimmten Fahrplan der Schweizer Bahn aus dem Takt. Es ist also längst kein diffuses Gefühl mehr, dass bei der Deutschen Bahn etwas mächtig aus dem Gleichgewicht geraten ist – selbst dann, wenn gerade keine Gewerkschaft zum Streik aufruft. Zuletzt sagte der für den Personenfernverkehr zuständige Bahn-Vorstand Michael Peterson der »Augsburger Allgemeinen«, dass man nach Abschluss einiger Baustellen wieder eine Pünktlichkeitsquote von mehr als 80 Prozent erreichen wolle. Der Verkehrswissenschaftler Ullrich Martin von der Universität Stuttgart ist allerdings skeptisch, ob das ohne tief greifende Veränderungen und umfassende, flächendeckende Infrastrukturprojekte überhaupt möglich ist.

Herr Martin, wann sind Sie zuletzt Bahn gefahren und pünktlich angekommen?

Oh, da muss ich intensiv überlegen; zumal Pünktlichkeit bei genauer Betrachtung gar nicht leicht zu definieren ist. Muss mein gebuchter Zug pünktlich sein oder geht es nur um die Ankunftszeit? Auf einer Reise von Berlin nach Stuttgart mit einem Umstieg war ich vor Kurzem acht Minuten vor der geplanten Zeit am Zielort – aber ich bin nicht mit dem Zug gefahren, der auf meiner Fahrkarte stand. Der war nämlich so extrem verspätet, dass ich einen früheren, ebenfalls verspäteten ICE nehmen konnte.

Laut Statistik erreichten im Jahr 2022 nur 65 Prozent der Fernverkehrszüge ihr Ziel mit weniger als sechs Minuten Verspätung; so unpünktlich war die Deutsche Bahn noch nie. Und es wird gerade eher schlimmer als besser. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Die Probleme der Deutschen Bahn sind sehr vielschichtig. Ich verfolge das jetzt von Berufswegen seit mehr als 40 Jahren. Es ist immer das gleiche Szenario, das abläuft. Zuerst heißt es, die Infrastruktur sei furchtbar, alles ist marode und muss dringend saniert werden. Im nächsten Schritt kommt dann der Ruf nach mehr Geld, um diese Maßnahmen umzusetzen. Dann stellt man fest, dass das auch nicht ausreicht. Und im dritten Schritt folgt dann eine Umstrukturierung des Bahnkonzerns, um zu z

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