Eine KI entziffert antike Schriftrollen

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Beim Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 n. Chr. verschlang heißer Schlamm eine ganze Bibliothek in Herculaneum. Bislang war es fast unmöglich, die verkohlten Papyrusrollen zu lesen. Nun ist mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ein Durchbruch gelungen.

PAPYROLOGIE

SPALTEN UND ZEILEN Mehr als vier Kolumnen, die jeweils über sechs Zeilen laufen – das ist der bislang größte Textausschnitt, der sich im Rahmen der »Vesuvius Challenge« aus den CT-Scans einer rund 2000 Jahre alten Schriftrolle gewinnen ließ.
VESUVIUS CHALLENGE

Diese Bilder könnten die Erforschung alter Handschriften für immer verändern. Fachleute um den Informatiker Brent Seales von der University of Kentucky veröffentlichten im Oktober 2023 CT-Aufnahmen von verkohlten Schriftrollen aus dem antiken Herculaneum: Darauf sind nicht nur einzelne Buchstaben, sondern ganze Wörter, Zeilen und Spalten zu erkennen. Derart viel Text sichtbar zu machen, der im Inneren geschlossener Papyrusrollen steckt, galt lange als kaum lösbares Unterfangen. Doch den beiden Informatikstudenten Luke Farritor und Youssef Nader ist dies nun gelungen. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz werteten sie röntgentomografische Aufnahmen einer verkohlten Schriftrolle aus Herculaneum aus. Dabei bauten sie auf den Ergebnissen einer großen Online-Community auf, die sich an dem von Sponsoren ausgeschriebenen Wettbewerb »The Vesuvius Challenge« beteiligten.

Auf den hoch aufgelösten CT-Scans, die Seales und sein Team zuvor mit einem Teilchenbeschleuniger aufgezeichnet hatten, arbeitete Farritor auf einer winzigen Fläche mehrere Buchstaben und ein vollständiges Wort heraus. Nader, ein Robotikstudent aus Ägypten, der zurzeit an der Freien Universität Berlin studiert, entzifferte bald danach dieselbe Stelle und bestätigte Farritors Ergebnis: Neben einzelnen Buchstaben wurde ein altgriechisches Wort sichtbar, das »purpurfarben«, »purpurfarbene Kleidung« oder »Purpurfarbstoff« bedeuten könnte. Auf einer Pressekonferenz stellte Seales’ Team zudem eine weitere, noch umfangreichere Entdeckung von Nader vor: In derselben Buchrolle entzifferte er einen Ausschnitt von mindestens vier Textspalten, die sich jeweils über sechs Zeilen erstrecken.

»Das ist der Wahnsinn«, erklärte eine begeisterte Federica Nicolardi, Papyrologin an der Università degli Studi di Napoli Federico II, während der Presseveranstaltung. Sie und weitere Fachkollegen befassten sich bereits mit dem Ausschnitt. Dabei waren ihnen spezielle Zeichen zur Interpunktion aufgefallen: De

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