Familie ist, wen man dazu macht

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Kolumne

WARKUS′ WELT

Vater, Mutter, Kinder, Großeltern, Hausangestellte, Sklaven – vielleicht sogar Vieh: Die Vorstellung davon, was »Familie« ist, hat sich in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder gewandelt. Was uns das über den Umgang mit Begriffen lehrt, erklärt unser Kolumnist Matthias Warkus.

KALI9 / GETTY IMAGES / ISTOCK

Als Kind der 1980er Jahre bin ich mit einem ganz klaren Bildvon Familie aufgewachsen:Vater, Mutter, Kinder. Ich erinnere mich sogar daran, dass ich als kleiner Junge dachte, zwei Kinder wären gewissermaßen der Standard. Jede Familie mit mehr oder weniger Kindern fand ich ungewöhnlich, ebenso das in meiner Heimatgegend gar nicht so seltene Phänomen, noch mit den Großeltern in einem Haus zu wohnen. Seitdem haben sich die Vorstellungen davon, was Familie sein kann, erweitert: Dass ihr Kern notwendigerweise ein heterosexuelles verheiratetes Paar sein muss, gilt heute als überholt. Vor fast genau 25 Jahren formulierte die damals neu angetretene Bundesfamilienministerin Christine Bergmann den Satz: »Familie ist, wo Kinder sind.«

Noch meine Elterngeneration hat, zumindest auf dem Land, weitere Aspekte von Familie kennen gelernt, die heute eher in Vergessenheit geraten sind. Zum Beispiel das Zusammenleben unter einem Dach mit Personen, die in irgendeiner Form in Haushalt oder Landwirtschaft mitwirken und mit der Kernfamilie verwandt sein können, es aber nicht zwingend sein müssen. Der Übergang zwischen versorgten Bedürftigen, mithelfenden Angehörigen und lohnabhängigem Personal war unter solchen Umständen fließend: ein entfernter Nachhall von antiken Familienvorstellungen, bei denen zwischen »Kernfamilie« und Hausgemeinschaft nicht abgegrenzt wurde. Mitunter rechnete man sogar Sklaven und Vieh zur Familie.

Eine philosophische Frage, die solche Veränderungen aufwerfen, ist jene danach, in welcher Beziehung sie zu unserer Begriffsbildung stehen. Wo kommen unsere Begriffe her?

Man kann sich,wenn man möchte, auf unanfechtbare höhere Autoritäten beziehen. Wer streng traditionell katholisch ist, der beruft sich für seinen Begriff von Familie beispielsweise letztlich auf göttliche Offenbarung. In der Regel gewinnen wir unsere Begriffe jedoch durch eigenen Vernunftgebrauch. Dabei kann man sich unterschiedliche Ansätze vorstellen: Einerseits kann man in sich hineinschauen, die eigene Intuition und die erlernten Vorstellungen betrachten und sich mit anderen austauschen, um zu einem Konsens zu kommen. Andererseits kann man Phänomene in der Welt betrachten (möglichst unvoreingenommen) und versuchen, Gemeinsamkeiten zu finden, die es erlauben, sie sinnvoll unter einen terminologischen Hut zu bringen.

Interessant wird es dort, wo solche unterschiedlichen Vorgehensweisen nicht zum selben Ergebnis kommen. Die amerikanische Philosophin Sally Haslanger (*1955) hat

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