Die Großstadt als Schmelztiegel?

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SPRINGERS EINWÜRFE

Urbane Regionen gelten gemeinhin als Orte sozialer Durchmischung. Bei genauer Betrachtung ist eher das Gegenteil der Fall.

Im Getümmel einer Großstadt bewegen sich unterschiedlichste Menschen. Doch dabei kommen sie selten wirklich in Kontakt.
URBANCOW / GETTY IMAGES / ISTOCK

Die Menschheit zieht in die Stadt.

Schon heute lebt jeder und jede Zweite dort, und im Jahr 2050 werden zwei Drittel der Weltbevölkerung immer dichtere Wohnkonglomerate bilden. Nach gängiger Meinung wirkt der rapide Prozess der globalen Urbanisierung als großer Gleichmacher, der die Menschen kulturell entwurzelt und soziale Unterschiede relativiert. Könnte daraus durch die immer dichtere elektronische Vernetzung gar eine egalitäre Weltgesellschaft hervorgehen – mit einem Schlagwort des Medientheoretikers Marshall McLuhan: das globale Dorf?

Michael Springer ist Schriftsteller und Wissenschaftspublizist. Seit 2005 betreut er die Kolumne »Springers Einwürfe« in »Spektrum der Wissenschaft«.

Dem Mythos der kosmopolitischen Großstadt haben Informatiker und Soziologen um Hamed Nilforoshan, Wenli Looi und Emma Pierson von der Stanford University empirisch auf den Zahn gefühlt. Die anonymisierten Mobiltelefondaten von knapp zehn Millionen Nutzerinnen und Nutzern in den USA offenbarten alltägliche Verhaltensmuster.

Über das Global Positioning System GPS ließ sich zunächst feststellen, wo die Personen regelmäßig die Nacht verbrachten – das heißt ihr jeweiliger Wohnort. Derwiederum gab auf Grund der dort üblichen Miete Auskunft über den sozioökonomischen Status. Anhand der GPS-Bewegungsdaten konnten die Forscher anschließend feststellen, wie oft sich tagsüber die Wege von Personen kreuzten – und insbesondere, ob es dabei zu einer mehrere Minuten langen Begegnung zwischen sozial unterschiedlichen Menschen kam. So entstand ein statistisches Panorama der gesellschaftlichen Durchmischung in Stadt und Land.

Das verblüffende Resultat: je größer die Siedlung, desto segregierter ihre Bevölkerung. In Großstädten trafen sozial gleichartige Personen wesentlich (um 67 Prozent) häufiger zusammen als in Gebieten mit weniger als 100000 Einwohnern. Zugespitzt bedeutet das, dass man in der Stadt viel mehr unter sich bleibt als auf dem Land.

Wie lässt sich das erklären? Offenbar bietet ein urbaner Lebensraum allein schon durch seine Größe die Möglichkeit, dauerhaft nur mit seinesgleichen zu verkehren, während man auf dem Dorf eher mit unterschiedlichen Mitmenschen konfrontiert wird: Man läuft sich, ob

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