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ARTENSCHUTZ

Der Waldrapp gehört zu den seltensten Vogelarten weltweit. Das soll sich ändern. Doch wie lernt ein ausgewilderter Vogel, in den Süden zu ziehen? Menschen bringen es ihm bei!

HELENA WEHNER/WALDRAPPTEAM

Aurelius traut sich nicht. Unentschlossen hüpft der Waldrapp auf dem kleinen Steg in der Voliere Stück für Stück nach vorn. Er späht nach draußen, wo seine Artgenossen ihre ersten längeren, noch etwas unkoordinierten Flugversuche machen. Es ist erst neun Uhr morgens, doch die warme, stehende Luft kündigt bereits die anrollende Hitze des Tages an. Aurelius ist einer von 35 jungen Waldrappen, die an diesem hochsommerlichen Tag ihr zweites Flugtraining auf einem kleinen Flugplatz in der Nähe des Bodensees absolvieren.

Der Waldrapp zählt zu den Ibisvögeln. Sein nacktes, rotes Gesicht mit dem sichelförmigen Schnabel und die verstrubbelt abstehenden Nackenfedern verleihen ihm sein schräges Aussehen. Heute gehört er zu einer der seltensten Vogelarten weltweit, aber das war nicht immer so. Bis ins 17. Jahrhundert war der Zugvogel in Europa heimisch, dann wurde er fast ausgerottet, weil er zu viel gejagt wurde. Lediglich in Marokko haben zwei nicht mehr migrierende Kolonien überlebt. Deshalb gilt der Waldrapp heute als stark gefährdet.

Der österreichische Biologe Johannes Fritz hat sich in den Kopf gesetzt, das zu ändern. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er mit einem kleinen Team und einer großen Portion Idealismus an der Auswilderung der Zugvögel in ihr einst natürliches Verbreitungsgebiet: den Alpenraum. »In den 1990er Jahren habe ich in einer oberösterreichischen Forschungsstelle mit Graugänsen und Kohlraben gearbeitet«, erzählt Fritz von den Ursprüngen der Idee. »Zu der Zeit fing man an, dort frei fliegende Waldrappe zu Forschungszwecken zu halten.« Damals habe sich gezeigt: Wenn man Waldrappe lokal aufzieht und hält, zeigen sie – anders als Graugänse – die Motivation, im Herbst wegzufliegen.

»Damals wurde uns klar, dass man daraus etwas machen kann in Bezug auf Artenschutz und Wiederansiedlung«, erzählt Fritz. 1996 kam »Amy und die Wild-gänse« in die Kinos. Ein Film, der auf wahren Begebenheiten basiert: Bill Lishman, ein Flugpionier und Hobbyvogelkundler, führte 1993 in seinem klapprigen Flieger Kanadagänse in ihr Winterquartier. »Die Geschichte hat uns inspiriert, das ab 2001 mit Waldrappen zu probieren«, fährt der Biologe fort: »Zuerst war es nur ein Versuch: Kann man Waldrappe dazu bringen, einem Fluggerät nachzufliegen?«

Es stellte sich heraus: Man kann! Der Grundstein für das Auswilderungsprojekt mit Zugvögeln war gelegt. Ende August 2023 ist Fritz mit seinem Team und der jüngsten Kolonie zum Überwintern vom Bodensee in den Süden Spaniens aufgebrochen. Im Ultraleichtflugzeug, die Waldrappe hinterher, bis ins andalusische Winterquartier. Doch auch wenn das so einf

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