VERBORGENE WANDERUNGEN

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PLANKTON

Nacht für Nacht steigen Myriaden von Kleinstlebewesen aus den Tiefen des Meeres auf, um dann wieder abzusinken. Diese koordinierten Wanderzüge wirken sich auf die gesamte Biosphäre unseres Planeten aus.

Katherine Harmon Courage ist Wissenschaftsjournalistin und Mitarbeiterin bei »Scientific American«. Sie lebt in Longmont (US-Bundesstaat Colorado).
TONAQUATIC / GETTY IMAGES / ISTOCK

Jeden Abend schweben Billionen kleinster Meerestiere – etliche davon winziger als ein Reiskorn – in hunderten Meter Tiefe und warten auf ihr Signal. Dieses Zooplankton (griechisch: zoon = Tier; plagktós = umherirrend) galt lange als Ansammlung passiver Wesen, die lediglich von den Gezeiten und Strömungen umhergetrieben werden. Doch weit gefehlt: Kurz vor Sonnenuntergang machen sich die Schwärme unbemerkt auf den Weg in Richtung Wasseroberfläche.

Während des Aufstiegs schließen sich mehr und mehr solcher Planktonorganismen wie Ruderfußkrebse, Krill, Salpen oder Fischlarven der Wanderung an. Die Nacht verbringen sie an der Wasseroberfläche, aber wenn morgens das erste Sonnenlicht aufs Meer fällt, sind sie bereits wieder unterwegs in die Tiefe. Während der Sonnenaufgang alle 24 Stunden von Ost nach West gleitet – vom Indischen Ozean über den Atlantik zum Pazifik –, unternehmen die Schwärme nacheinander dieselbe Reise hinab und wieder zurück nach oben.

Die meisten Menschen ahnen nichts vom täglichen Auf und Ab in den Weltmeeren, das als tagesperiodische Vertikalwanderung bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um die größte regelmäßige Migration von Lebewesen auf unserem Planeten: Fachleute schätzen die dabei bewegte tierische Biomasse auf etwa eine Milliarde Tonnen. Einige der beteiligten Spezies steigen aus über 1000 Meter Tiefe auf. Eine erstaunliche Leistung – entspräche doch eine vertikale Wegstrecke von 300 Metern, die eine millimetergroße Fischlarve in nur einer Stunde zurücklegt, beim Menschen fast 100 Kilometern. Auf ihrer Pendeltour durchqueren die Tiere Meereszonen mit völlig unterschiedlichen Bedingungen: In einer Tiefe von 300 Metern herrscht ein Wasserdruck von 30 Bar, die Wassertemperatur beträgt etwa 4 Grad Celsius. In den Wellen ganz oben liegt dagegen ein Druck von lediglich einem Bar vor, und das Wasser ist womöglich 15 Grad warm. Warum machen sich so viele winzige Tiere Tag für Tag auf eine solch beschwerliche Reise?

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