Der Heilige im Pökelfass

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REZENSION

Dan Jones | Mächte und Throne | Aus dem Englischen von Heike Schlatterer | Verlag: C.H. Beck, München 2023, 793 S. | ISBN: 9783406806254 | 38,00 € | bei Amazon.de kaufen

Christian Hellmann ist evangelischer Pfarrer und Journalist in Gelsenkirchen.

Im 9. Jahrhundert n. Chr. trug sich im muslimischen Kairo eine seltsame Geschichte zu. Vorbei war schon die Zeit, in der Ägypten unter christlicher Oberhoheit stand. Allerdings gab es in diesem Land einige bedeutende christliche Kostbarkeiten, die nach der Ansicht von zwei Venezianern besser in einem Land aufgehoben gewesen wären, das nicht von Muslimen beherrscht wurde. So beschlossen die beiden, die Gebeine des Heiligen Markus zu stehlen. Der Heilige Markus ist niemand Geringer als der, der das nach ihm benannte Evangelium geschrieben hat.) Der Diebstahl gelang. Doch nun stellte sich die Frage, wie man diese Gebeine außer Landes schaffen sollte. Die Venezianer kamen auf eine außergewöhnliche Idee: Sie versteckten die Knochen in einem Fass mit gepökeltem Schweinefleisch, wohl wissend, dass die muslimischen Zöllner ein Fass mit Schweinefleisch aus religiösen Gründen nicht so genau untersuchen würden.

Markusplatz in Venedig
ZETTER / GETTY IMAGES / ISTOCK

Die List funktionierte. Die Gebeine des heiligen Markus wurden sicher nach Venedig gebracht und liegen bis heute im berühmten Markusdom. Ob der Besitz der Knochen tatsächlich dazu geführt hat, dass Venedig einige Jahrhunderte später zu einer führenden Handelsmacht im Mittelmeer wurde, sei dahingestellt; allerdings beleuchtet diese Geschichte brennpunktartig verschiedene Aspekte und Konfliktlinien des Mittelalters, die auch noch heute das Interesse an dieser Epoche prägen.

Zum einen dokumentiert die Geschichte der beiden Venezianer den beginnenden Machtkampf zwischen muslimischer und christlicher Welt um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum. Zum anderen wirft diese Begebenheit einen Blick auf die italienischen Hafenstädte, die im späteren Mittelalter wahrhafte Handelsimperien in dieser Region aufbauen konnten. Und zuletzt verweist diese Episode auf einen interessanten Aspekt der Religiosität in dieser Epoche: nämlich den sich immer weiter verstärkenden Glauben an die Wundertätigkeit von Reliquien. Dieser Glaube wurde massiv von Martin Luther kritisiert, der heute wie kein anderer durch die von ihm ausgelöste Reformation für das Ende des Mittelalters steht.

Der Blick über Europa hinaus

Der Historiker Dan Jones hat mit seiner Geschichte des Mittelalters ein Buch vorgelegt, das man schon immer einmal lesen wollte – nämlich einen kompakten Überblick über eine Zeit, die auch gerne als das »dunkle Zeitalter« (zumindest in Teilen) bezeichnet wird. Natürlich ist es mit fast 800 Seiten ein sehr dickes Buch geworden, aber seine Stärke liegt darin, dass man mit ihm tatsächlich eine fundierte Monografie durch

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