Die übermächtige Eins

4 min lesen

Kolumne

DIE FABELHAFTE WELT DER MATHEMATIK

Zufällige Zahlen sind nicht immer gleich ver teilt. Warum die Eins in vielen Fällen dominier t, lässt sich mathematisch erklären – zum großen Bedauern einiger Steuerbetrüger.

VPANTEON / GETTY IMAGES / ISTOCK

Wie wäre es mit einer Wette: Wir schlagen ein Magazin von »Spektrum der Wissenschaft« auf, und wenn die erste Zahl, auf die wir stoßen, mit einer Ziffer größer als drei beginnt, gebe ich Ihnen 50 Euro. Wenn 1, 2 oder 3 am Anfang stehen, kriege ich dagegen 50 Euro von Ihnen. Nehmen Sie diese Wette an? Auf den ersten Blick wirkt es so, als solle man den Deal eingehen – schließlich gewinne ich nur in drei von neun Fällen, während doppelt so viele Ziffern auf Ihrer Seite sind.

Dennoch wären Sie gut beraten, die Wette abzulehnen. Tatsächlich habe ich nämlich eine etwa 60 Prozent höhere Chance zu gewinnen. Kaum zu glauben, aber wahr: Denn üblicherweise sind die Zahlen in Zeitschriften nicht gleich verteilt, sondern folgen dem so genannten benfordschen Gesetz. Demnach tauchen in realen Datensätzen kleinere Ziffern am Anfang einer Zahl häufiger auf als große.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks.

Manon Bischoff ist Redakteurin für Mathematik und Physik bei Spektrum der Wissenschaft.

Das fiel erstmals dem kanadisch-US-amerikanischen Astronomen Simon Newcomb im Jahr 1881 auf. Da es damals noch keine Taschenrechner gab, musste er für seine Arbeit häufig Bücher voll mit Logarithmentafeln wälzen. Und wie er bemerkte, waren die Seiten für Zahlen, die mit einer Eins beginnen, viel abgegriffener als für solche, die mit einer Neun starten. Der Forscher gab sogar eine Formel für die Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Ziffer Nan: log(N + 1) –log(N), und veröffentlichte das Ergebnis im Fachmagazin »Journal of Mathematics«. Doch sein Fachaufsatz erregte kaum Aufmerksamkeit und geriet schnell in Vergessenheit.

Erst 57 Jahre später stieß der Physiker Frank Benford wieder auf den seltsamen Zusammenhang – lustigerweise auf genau die gleiche Weise: Er wunderte sich über die Abnutzung der vorderen Seiten von Logarithmentafeln. 1938 formulierte er das Gesetz nochmals und veröffentlichte es ebenfalls. In seiner Arbeit überprüfte er seine Behauptung anhand von 20 229 Beispieldaten. Dafür untersuchte er die Oberfläche von 335 Flüssen, die Bevölkerung von 3259 US-Städten, 104 Naturkonstanten, 1800 molare Massen, 5000 Einträge eines mathematischen Handbuchs, 308 Zahlen innerhalb einer Ausgabe des Magazins »Reader´s Digest« und die Hausnummern der ersten 342 Personen in einem Telefonbuch.

Wo Benfords Entdeckung gilt – und wo nicht

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel