Stadt zum Anbeißen

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Naschmarkt, Sachertorte und Schnitzel – Schlagworte zum kulinarischen Wien, die vielen sofort einfallen. Doch es gibt viel mehr zu entdecken in Österreichs Metropole, weiß Judith Weibrecht.

Fotos: Judith Weibrecht, Lukas Lorenz, Paul_Ivic, Wien Tourismus, Paul Bauer

Ein Hofladen mitten in der Stadt – im 5. Bezirk? Doch, das gibt es tatsächlich. Dazu noch Café, Bistro und eine offene Schau-Bäckerei. Der nachhaltig und biodynamisch arbeitende Demeter-Hof der Familie Michlits, der den Laden beliefert, befindet sich in Pamhagen am östlichen Neusiedler See, mitten im Nationalpark. Angus-Rinder und Mangalitza-Schweine düngen ganz natürlich den Boden, auf dem Dinkel, Emmer, Einkorn, Buchweizen, Wildkräuter, Gemüse und Topaz-Äpfel gedeihen. Auch Weinbau wird betrieben. Dass man all dies mitten in Wien erstehen kann: Leiwand (österreichisch für super)!

Draußen auf dem Bürgersteig sitzen ein paar Gäste auf Bierbänken zwischen Töpfen mit Kräutern. Aus der Hofküche kommt heute Paradeiser-(Tomaten-)vielfalt mit Physalis und Specköl oder Fisolen (grünen Bohnen) mit Kräuterbutter. Drinnen befindet sich im vorderen Bereich das Lokal und im hinteren die Gemüse-, Käse und Brottheke. Das Sauerteigbrot duftet und sieht zum Anbeißen aus, und schon geht eins über den Tresen.

Backparadies

Um mehr über Brot zu erfahren, gehe ich quasi nur um die Ecke zu »Kruste & Krume«, Wiens erstem »Brotbackatelier« mit Backworkshops im Angebot und einer angeschlossenen Mehl-Greißlerei (österreichisch für Tante-Emma-Laden). Dass es in diesem Stadtteil steht, kommt nicht von ungefähr: Früher war hier das Mühlenviertel. »Nur einige Baguettelängen von der im 14. Jahrhundert erbauten Heumühle entfernt«, sagt »Kruste & Krume«-Chefin Barbara van Melle. Im ersten und einzigen Fachgeschäft für Bäckermehle in Österreich gibt es das ganze Sortiment an Zubehör fürs Backen: Getreidemühlen, Baguetteleinen, Gärkörbe und dergleichen mehr. Handwerkliches Brotbacken ist hier echte Leidenschaft, die gerne in Kursen online oder vor Ort weitervermittelt wird und wo Interessierte z.B. lernen, wie Sauerteig hergestellt wird.

»Viele, die mich von meinen Youtube-Filmen her kennen, kommen dann im Urlaub nach Wien, um endlich einmal live mitzumachen«, sagt Barbara van Melle, Gründerin des »Brotbackateliers«, ehemalige Fernseh-Journalistin sowie ehemalige Leiterin des erst im Mai aufgelösten Conviviums Slow Food Wien.

Nachdem sie 2015 an dem Buch »Der Duft von frischem Brot« gearbeitet und teils nächtelang Korrektur gebacken hatte, weil einige der von Betrieben gelieferten Rezepte nicht funktionierten, verliebte sie sich ins Brotbacken. Das Buch wurde zum Bestseller, und eins kam zum anderen: »Für alles gab es damals Festivals, für Kaffee, Street Food usw., aber nicht fürs Brot!«, erzählt sie weiter. Also initiierte sie eins.