ZOFF AUF DER LAUFBAHN

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Bei den Olympischen Spielen in Paris wird es im Sommer wieder zu zahlreichen spannenden sportlichen Duellen kommen. Doch in der Geschichte des Laufsports wurde beileibe nicht immer fair gekämpft. Es gab auch einige finstere Kapitel …

Text DUNCAN CRAIG

Ein wütender Moses Tanui konfrontiert Haile Gebrselassie nach dem Finale über 10 000 Meter der Weltmeisterschaften 1993 in Stuttgart
FOTOS: GETTY IMAGES

Dabei sein ist alles.“ Dieses Mantra gilt nicht nur als Leitgedanke der Olympischen Spiele, sondern als Grundprinzip jeglichen Sports. Chancengleichheit und Respekt vor dem Gegner sind die Voraussetzungen für faire, begeisternde Wettkämpfe. Aber hätten Sie gewusst, dass dieses hehre Ideal seinen Ursprung ausgerechnet in einem der dunkelsten Momente des Sports hat – den mit Haken und Ösen, voller Bosheit und Arglist ausgefochtenen Olympischen Spielen des Jahres 1908 in London? Dieses Event war weniger ein sportliches Miteinander im Geiste geteilter Ideale und Ziele als ein Fest kleingeistiger, nationalistischer Feindseligkeit. Im Zentrum der erbitterten Rivalität lagen die Spannungen zwischen den Teams aus Großbritannien und den USA. Es gab viele unschöne Momente bei jenen Spielen, der brisanteste ereignete sich beim 400-Meter-Rennen der Männer. Es siegte der US-Amerikaner John Carpenter, der zuvor angeblich den britischen Favoriten Wyndham Halswelle von der Bahn gedrängt hatte. Die Reaktion der 25 000 britischen Zuschauer war ein Aufschrei der Empörung, woraufhin die einheimischen Schiedsrichter das Rennen für ungültig erklärten.

Der Wiederholungslauf war eine Farce: Aus Solidarität zu dem disqualifizierten Carpenter traten die beiden anderen US-Läufer nicht an, sodass Halswelle als einzig verbliebener Teilnehmer bedröppelt allein zum Sieg lief. Dieses Ereignis nahm der US-Bischof Ethelbert Talbot zum Anlass, bei seiner Predigt in der St. Paul’s Cathedral die Zuhörer mit dem eingangs zitierten Spruch dazu zu ermahnen, die Teilnahme an einem Wettkampf über den Sieg zu stellen, und Pierre Coubertin, der Vater der modernen Olympischen Bewegung, machte sich diese Maxime in der Folge zu eigen: „Das Wichtigste an den Olympischen Spielen ist nicht das Siegen, sondern das Dabeisein.“

Ein griffiges Leitmotiv ist fraglos eine schöne Sache, noch schöner wäre es, wenn man sich daran hielte. Doch in den 116 Jahren seit jenen Spielen von London hat sich die dunkle Seite des sportlichen Wettstreits auf allen Bühnen und Distanzen der Leichtathletik Bahn gebrochen. Einer der hässlichsten Vorf

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