IDEAT
21 June 2024

Im Tierreich trifft man auf einige Spezies, liebe Leser:innen, die in der modernen Leistungsgesellschaft eher als Low Performer eingestuft werden würden. Koalas zum Beispiel, Faultiere ganz sicher, aber auch tendenziell Hunde, deren Hauptbeschäftigung entspanntes Herumliegen ist. Möglicherweise wird man diesen Kreaturen nicht gerecht. Denn sie sind Experten, geradezu wahre Meister in einer Disziplin, deren Fähigkeit den meisten von uns abhanden gekommen zu sein scheint und wahrscheinlich sehr suspekt ist: genüsslich und ziemlich nutzlos die Zeit vergehen zu lassen. Dieser Form der Untätigkeit wird bei Menschen gemeinhin eine Gemütslage oder Geisteshaltung unterstellt, die zu den wohl mit großem Abstand meistunterschätzten zählt: Langeweile. Schon mit dem deutschen Wort an sich kann ich wenig anfangen. Vielleicht soll es bedeuten, dass einem eine kurze Zeit lang vorkommt. So richtig verstehe ich es trotzdem nicht. Erst recht nicht die durchgehend negative Wertung. Denn Langeweile zu haben heißt ja, wenn man es genau nimmt, Zeit übrig zu haben. Welch ein Luxus in unseren hysterischen Tagen, in denen jede Minute sinnvoll genutzt zu sein hat! Das klassische Gelangweiltsein ist wohl eher ein kindliches Gefühl. Aber auch das ist leider weitgehend abhanden gekommen, weil viele Kinder von gnadenlosen Eltern zwischen Ballett, Japanischunterricht, Geigenstunde und Theaterkurs hin- und hergescheucht werden. Erfahrene Menschen, die dem Kindesalter entwachsen sind, würden eine Phase der Langeweile wohl eher positiv als Müßiggang bezeichnen. Aber so etwas liegt der deutschen Seele nicht besonders. Ich will an dieser Stelle nicht alles schönreden. Es gibt Formen der Langeweile, die man ernst nehmen muss. Zum Beispiel von etwas gelangweilt sein (wie von diesem Text) oder sich bei einer Aktivität langweilen (wie beim Lesen dieses Textes) oder überhaupt schon gelangweilt sein (ohne diesen Text gelesen zu haben). Völlig verkannt hingegen wird von den meisten das Potenzial der allgemeinen Langeweile. Der Zustand kann einer (hoffentlich erquicklichen) Selbstreflexion förderlich sein, auch der Ideenfindung dienen (wie der zu diesem Text), überhaupt liefert er nicht selten den Anstoß zu kreativen Anflügen. Vor allem zu beobachten bei Kindern, die nicht zum Japanischunterricht müssen. Sie denken sich aus lauter Langeweile neue Spiele aus (und zugegebenermaßen mitunter auch ein paar Dummheiten). Dass Sie jetzt aber nicht denken, die vielen kreativen Einfälle in dieser Ausgabe stammen von gelangweilten Mitarbeiter:innen. Natürlich hat die IDEAT-Redaktion wie immer quasi rund um die Uhr daran gearbeitet. Ich wollte nur mal dazu anregen, das Nichtstun ein wenig wertzuschätzen. In diesem Sinne Jan van Rosse,. Editor-in-Chief

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