IDEAT
26 April 2024

Es gibt Merkmale, die den Deutschen hartnäckig und nicht ganz ungerechtfertigterweise nachgesagt werden. Zum Beispiel Besserwisserei, was viele Mitstreiter in der Europäischen Union oft nervt. Auch die typisch deutsche Hausmeistermentalität kommt woanders nicht so gut an. Dazu gesellt sich ein chronischer Weltschmerz, den man nicht mal in andere Sprachen übersetzen kann. Und bis vor Kurzem eine erdrückende wirtschaftliche Überlegenheit im Vergleich zu großen oder ehemaligen großen Nationen wie etwa Frankreich und England. Es lohnt sich, die nicht unberechtigte Kritik ernst zu nehmen. Aber es gibt noch eine Besonderheit, die Deutsche kennzeichnet. Eine, die es, soweit mir bekannt, nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Und die mir äußerst rätselhaft vorkommt. Ich weiß gar nicht, wie ich sie in einem Wort benennen soll. Am besten charakterisiert man sie mit sonderbaren Redewendungen respektive Lebensweisheiten. Nehmen wir mal den erstaunlichen Ratschlag: »Man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist.« Da muss die Frage erlaubt sein: Warum das denn? Also, wenn es mal nicht so toll läuft, könnte ich verstehen, dass man damit aufhören will. Aber wenn gerade richtig die Post abgeht? Ich sehe schon das kollektive Kopfschütteln jenseits der Grenzen. Dänen, Italienern, Holländern, Tschechen oder sonst wem muss man mit so einem Vorschlag jedenfalls nicht kommen. Vielleicht ist es die berühmte, auch unübersetzbare »German Angst«, in diesem Fall vor der Freude. Als gehöre es sich nicht, Spaß zu haben. Es ist aber kein Einzelfall. Man hört hierzulande immer mal wieder den (vorgetäuschten) Seufzer: »So viel Glück ist gar nicht auszuhalten.« Als sei es eine Last. Kapier ich auch nicht. Das Gegenteil wäre einen Seufzer wert, wie man ihn im Rest der Welt bestimmt hier und da hören kann. Wollen wir uns sicherheitshalber vor potenziellen Neidern schützen? Auch dieser Charakterzug wird ja tendenziell in unseren Landen verortet. Noch ein letztes Beispiel: Sie, liebe Leser:innen – ich übrigens leider auch –, hatten bestimmt schon folgende Formulierung auf den Lippen: »Zu viel des Guten«. Dazu wäre anzumerken: Es gibt Schlimmeres! Zum Beispiel: zu wenig davon. Das wiederum würde den Deutschen aber wahrscheinlich keinesfalls über die Lippen kommen. Was stimmt bloß nicht mit uns? Ich hoffe, Sie, liebe Leser:innen, haben kein zu großes Problem mit einem Zuviel des Guten. Sonst müsste ich Ihnen dringend von der weiteren Lektüre dieser IDEAT-Ausgabe abraten.

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