| Was wirklich zählt |

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Seit der mutmaßlichen Ermordung ihres Mannes Alexej Nawalny gilt JULIJA NAWALNAJA (47) als letzte Hoffnung des russischen Widerstands gegen Diktator Wladimir Putin. Eine exklusive Analyse von Prof. Thomas Jäger

PROF. DR. THOMAS JÄGER ist Chef des Instituts für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln
FOTOS: ANDREA ARTZ/LAIF; LARS BERG

Bei den Präsidentschaftswahlen im März schrieb sie einfach trotzig den Namen ihres Mannes auf den Wahlzettel. Nicht in Moskau, sondern in der russischen Botschaft in Berlin ging sie zur Wahl. Doch selbst wenn er die Mehrheit bekommen hätte, er hätte das Amt natürlich nicht antreten können. Denn er war einen Monat zuvor in der Haft in Sibirien zu Tode gekommen.

Die Nachricht, dass Russlands bekanntester Oppositionspolitiker Alexej Nawalny tot ist, veröffentlichten die Behörden am 16. Februar. Zuletzt war er im sibirischen Straflager „Polarwolf “ inhaftiert. Er soll eines natürlichen Todes gestorben sein, sagen die Behörden. Allein schon, wie er in der Haft behandelt wurde, machte seiner Frau klar: Er nahm seinen Tod bewusst in Kauf.

Alexej Nawalny war fast zwei Jahrzehnte lang die mächtigste Stimme gegen Putin in Russland. Er prangerte die Korruption der Elite und den Reichtum von Putin an, der wie ein Mafiaboss von den Verbrechen der Oligarchen seinen Anteil erhalte. Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung war als „extremistische Organisation“ verboten. Er war Wladimir Putin im Weg. 2020 sollte er vergiftet werden, doch er überlebte, mit deutscher Hilfe.

Sie brachte ihren Mann nach Deutschland

Hier trat seine Frau Julija Nawalnaja am 21. August erstmals laut und sichtbar auf, als sie Putin öffentlich aufforderte, ihren Mann zur Behandlung ins Ausland ausfliegen zu lassen. Die Maschine landete in Berlin. Er wurde in der Charité geheilt.

Alexej und Julija kehrten nach seiner Genesung am 17. Januar 2021 nach Russland zurück. Ihm musste klar sein, dass dies ein Leben hinter Gittern bedeutet. Bestenfalls. Das Ehepaar wusste, dass sie beide fortan, vom Staat getrennt, ohne einander leben müssten. Alexej wurde bei der Rückkehr noch am Flughafen in Moskau verhaftet.

Nawalny konnte keinen Zweifel daran haben, dass sein Leben ab jetzt in Putins Händen lag. Und daran, was das bedeutet. Zu viele oppositionelle Politiker, Journalisten und Aktivisten hatte dasselbe Schicksal ereilt. Er ging trotzdem nach Russland zurück. Aus Patriotismus, sagte er, weil er sich verantwortlich fühlte, der Opposition eine Stimme zu geben. Auch wenn sie dann aus dem Gefängnis zu hören war. Während er in Einzelhaft und im Straflager war, rief seine Frau zu Protesten auf. Sie trat prominent ins Rampenlicht, weil er es nicht mehr konnte. Dann stand sie in Moskau protestierend auf der Straße und wurde prompt festgenommen.

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