Musik im Blut

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BEGABUNG

Manche Menschen können schon mit vier meisterhaft Klavier spielen, anderen fällt es zeitlebens schwer, im Takt zu klatschen. Was bestimmt, wie musikalisch wir sind?

Er lebte als Bäcker im thüringischen Wechmar. Zu seinen liebsten Besitztümern zählte seine Zister, eine Art frühe Gitarre. Die nahm er sogar mit zur Mühle, in der er sein Getreide mahlte. Dort spielte er oft zum gleichmäßigen Rattern des Mahlwerks. »Es muss doch hübsch zusammen geklungen haben!«, notierte 150 Jahre später sein Ururenkel.

Der Zisterspieler hieß Vitus Bach und gilt heute als Stammvater einer Musiker-Dynastie, die in der Weltgeschichte ihresgleichen sucht. Was wir von ihm wissen, verdanken wir zum Großteil seinem mit Abstand berühmtesten Nachfahren: Johann Sebastian Bach hatte 1735 einen kurzen Abstecher in die Ahnenforschung gemacht und eine Liste mit 53 Namen verfasst. Darin hatte er die ihm bekannten männlichen Mitglieder seiner Familie aufgeführt, mitsamt kurzen Informationen zu ihrem Werdegang. Dass der Urgroßvater des Komponisten gerne auf der Zister klampfte, wissen wir aus diesen Aufzeichnungen.

Frank Luerweg arbeitet als Wissenschaftsjournalist in Lüneburg.

Das Kompendium mit dem Titel »Ursprung der musicalisch-Bachischen Familie« ist heute noch als 17-seitige Abschrift erhalten. Seinen Namen trägt es durchaus zu Recht: Mehr als 40 der Erwähnten spielten den Notizen zufolge ein Instrument. Viele verdienten gar ihren Lebensunterhalt mit Musik – als Kantor, Organist oder Hofkapellmeister; andere arbeiteten als Instrumentenbauer. Mittlerweile kennt man fast 80 Verwandte Johann Sebastian Bachs, die zwischen dem 16. Jahrhundert bis zumTod seines Enkels Wilhelm Friedrich Ernst 1845 als Musiker tätig waren.

Stammbaum der Musiktalente

Es gibt noch andere Beispiele dafür, dass sich musikalisches Können in manchen Stammbäumen auffällig häuft, etwa in den Familien Richard Wagners und des Walzerkönigs Johann Strauss. Vor mehr als 150 Jahren ist dieser Zusammenhang bereits dem britischen Naturforscher Sir Francis Galton aufgefallen. Er folgerte daraus, die Gabe zu außergewöhnlichen Leistungen (nicht nur musikalischen) werde uns in die Wiege gelegt. Doch ist Musikalität tatsächlich vor allem eine Frage der Gene? Oder spielen dabei andere Dinge eine viel wichtigere Rolle? Wie förderlich ist ein Elternhaus, in dem Musik zum Alltag gehört, oder die frühzeitige Chance, sich an einem Instrument zu erproben? Und was lässt sich durch harte Arbeit erreichen?

Auffällig ist, dass Musik in allen bekannten menschlichen Kulturen eine zentrale Rolle spielt. Das war wahrscheinlich schon der Fall, als die ersten Gruppen von Homo sapiens die Erde besiedelten. So wurden zwischen 1973 und 2008 in der Nähe von Ulm insgesamt acht Flöten aus prähistorischer Zeit gefunden, eine davon über 40 000 Jahre alt. Ein Exemplar

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