ALBTRAUM

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AUF DER FLUCHT AUS DER UKRAINE GERÄT EIN EHEPAAR IN RUSSISCHE GEFANGENSCHAFT. FÜR DIE BEIDEN BEGINNT EIN LANGER ...

VON Reuben F. Johnson

ILLUSTRIERT VON OWEN FREEMAN

ALS RUSSISCHE SOLDATEN

das Feuer auf unser Auto eröffneten, dachte ich: „Wir sind gleich tot.“ Es war der 4. März 2022, acht Tage nach Beginn der Invasion der Ukraine. Meine Frau und ich hatten in aller Eile unsere Wertsachen zusammengesucht, die in einen Koffer passten, und außerdem ein wenig Handgepäck.

Wir bestellten einen Fahrer in der Hoffnung, wir würden es zum Bahnhof von Irpin schaffen, einer Stadt im Großraum Kiew, in die wir geflohen waren, als der Krieg ausbrach. Kaum waren wir von dem Haus, das etwas außerhalb lag, losgefahren, stießen wir auf russische Panzerfahrzeuge.

„Fahren Sie zurück, zurück!“, schrie meine Frau. Verzweifelt versuchte der Fahrer zu wenden, doch es war zu spät. Die Soldaten durchsiebten unseren Wagen mit ihren Schnellfeuerwaffen und jagten hinter uns her. Geduckt auf dem Rücksitz hörte ich, wie die Windschutzscheibe unter dem Kugelhagel zersplitterte.

Irgendwie gelang es uns, aus dem fahrenden Auto zu springen, über einen Zaun zu klettern und hinter einem hellblauen Toilettenhäuschen Schutz zu suchen. Der durchlöcherte Wagen rollte einen Hang hinunter und krachte in einen Zaun.

„Kommt da raus!“, brüllte einer der Soldaten. Mit erhobenen Händen traten wir aus unserem Versteck. Wir erklärten, wir seien unbewaffnete Zivilisten und wollten zum Bahnhof. Die Soldaten kamen näher, ihre Gewehre auf uns gerichtet.

DIE GESCHICHTEunserer Gefangennahme begann mit einer Fehleinschätzung: „Es gibt keinen Krieg.“ Ein Satz, den ich in Kiew immer wieder hörte. Meine Frau Irina Samsonenko und ich lebten seit 21 Jahren in der Ukraine. Ich bin US-Amerikaner und arbeitete als Analyst für Militär und Russlandpolitik sowie als Berater für die Luft und Raumfahrtindustrie.

Putins Bedrohung der Ukraine war ein Film, den wir schon oft gesehen hatten, und ich ging davon aus, das Säbelrasseln sei nur eine weitere Episode.

Dann begannen die Raketenangriffe. Am 24. Februar 2022 heulten gegen vier Uhr morgens die Sirenen, und wir suchten Schutz in einer Tiefgarage gegenüber unseres Zuhauses. Als der Beschuss später am Tag aufhörte, gingen wir wieder heim.

Ein paar Stunden später setzte die Bombardierung erneut ein. Uns ins Auto setzen und nach Westen fahren – weg von den Russen – war unmöglich. Die Straßen waren blockiert, und es gab bis zur poln

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