Reader's Digest Österreich
28 May 2024
Liebe Leserin, lieber Leser, eine der großartigsten Fähigkeiten des Menschen ist es, verzeihen zu können. Ich glaube, jemandem zu vergeben, der einem etwas Schlimmes angetan hat, zählt zu den gesündesten Verhaltensmustern überhaupt (bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich „vergeben“ und „verzeihen“ synonym gebrauche). Das jedenfalls ging mir durch den Kopf, als ich den Beitrag Die Witwe und der Mörder las, den Sie in dieser Ausgabe ab Seite 122 finden. Er erzählt die Geschichte einer Frau, der es gelingt, Frieden, ja, Freundschaft mit einem Menschen zu schließen, der an der Ermordung ihres geliebten Ehemanns beteiligt war. Wie die Witwe und der ehemalige Terrorist einen Weg finden, sich die Hand zu reichen, ist ein Lehrstück in Sachen Menschlichkeit: Da ist einer, der aufrichtig bereut und wieder gutmachen möchte, was nicht mehr gutzumachen ist. Und eine, die erkannt hat, dass Hass und Unversöhnlichkeit diejenigen, die hassen, mindestens so sehr belasten wie die, die gehasst werden. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen würde, auf jemanden zuzugehen, der mir einen über alles geliebten Menschen genommen hat. Aber ich hoffe es. Weil das Verzeihen eine Gnade ist für den, der es beherrscht. Das gilt im persönlichen Umfeld, in der Familie oder im Beruf ebenso wie auf der Ebene von Nationen. Denken Sie nur an die aktuellen Konflikte im Nahen Osten, an den Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Das Ende dieser Auseinandersetzungen wird alle Beteiligten mit tiefen Wunden zurücklassen, Sieger wie Besiegte. Man mag die Vergebung Gottes suchen oder die der Menschen – ohne ein Verzeihen ist jedwede Form der Heilung, der Versöhnung, schwer vorstellbar. Anregende, auch nachdenklich machende Lektüre wünscht Ihnen Ihr Michael Kallinger
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