Formvollendet

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Lothringen gilt als das Zentrum der französischen Glaskunst. Zu den bekanntesten Manufakturen gehört Daum in Nancy. Bis die Vasen und Skulpturen fertig sind, braucht es Erfahrung, Können – und Muße

Mit Fingerspitzengefühl tragen die Spezialisten Blattgold auf
FOTOS: DAUM (3)
Unter der Gipsummantelung erscheint das Werk, mal eine Vase, mal eine Skulptur

Maxime Laugaudin ist enttäuscht. Mit Hammer und Meißel, Säge, Feile und seinen bloßen Händen hat er einen PfauenKaiserfisch vorsichtig aus einer Gipsummantelung befreit, mit Wasser gereinigt – und muss nun erkennen, dass die blau-gelbe Glasskulptur eine kleine, auf den ersten Blick kaum auszumachende Macke hat. „Kaputt“, sagt der 26-Jährige, „da kann man nichts machen.“

Er kennt den langen Weg, den die Skulptur bis hierhin zurückgelegt hat, vom ersten Entwurf über die vielen Korrekturen, die Erstellung der Gussform, der Farbmischung und den Wochen im Ofen. Ihm ist bewusst, dass das gut 30 Zentimeter lange Werk im Laden von Daum, der einen Kilometer von der Manufaktur entfernt an Nancys Prachtplatz liegt, 13 200 Euro kostet. Doch Laugaudin, der von sich selbst sagt, er sei „in Glas verknallt“, weiß auch: Schwund gehört bei dieser Arbeit dazu.

Die traditionsreiche lothringische Glasmanufaktur Daum ist ein Ort der Exklusivität, der Finesse – und der Fragilität. „Ungefähr 20 bis 30 Prozent unserer Stücke erleiden bei der Herstellung Schäden und müssen entsorgt werden“, sagt Produktionsleiter Damien Leroy. Das liegt zum einen an einer besonders aufwendigen Herstellungsweise, die das Unternehmen pflegt, der Modellierung mit Kristallglaspaste. Zum anderen liegt es an seiner speziellen Ästhetik, die vor mehr als 100 Jahren aus der Krise geboren wurde.

Als der Notar Jean Daum 1878 eine Glashütte in Nancy übernimmt, stellt seine Firma herkömmliche Gläser, Karaffen und Tassen her. Schön sind sie, oft filigran verziert, aber doch Gebrauchsgegenstände, nicht genug, um auf dem umkämpften Markt der althergebrachten Glasmacherregion Lothringen zu bestehen. Daums Söhne richten das defizitäre Familienunternehmen Ende des 19. Jahrhunderts neu aus. Leiten lassen sie sich dabei von der Kunstrichtung ihrer Zeit: dem Jugendstil.

Schleifen, feilen, schmirgeln: Viele Schritte sind nötig, bis ein Stück fehlerfrei fertiggestellt ist
FOTOS: DAUM (2), KARINE FABY PHOTOGRAPHE

Mit der damals neuartigen Manier wollen Kunstschaffende der von ihnen als hässlich und eintönig empfundenen industrialisierten Massenproduktion Anmut und Einzigartigkeit entgegensetzen. Ihre Werke sollen nicht nur Ausstellungsräume für ausgesuchtes Publikum bestücken, sondern den Alltag durchdringen, das Leben möglichst vieler Menschen durch Schönheit bereichern. Ihre Inspiration finden sie in der Natur mit ihrer schier unendlichen Formenvielfalt, ihren gesch

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