DIE ATEMLEHRERIN

5 min lesen

Wir alle atmen etwa 12 bis 16 Mal pro Minute – aber wer denkt schon bewusst darüber nach? Carola Speads war eine der ersten Therapeutinnen Amerikas, die sich damit beschäftigten. In ihrem Studio in New York lehrte sie die Kunst des freien Atmens

TEXT JUTTA JUNGE PAINTING “HONEY GOLD SUMMER” BY RIDDHI BENANI [INSTAGRAM: @_RIDDHIBENANI_]

FOTO ROBERT DANIEL ULLMANN PHOTOGRAPHY

Es ist ein regnerischer Nachmittag im Herbst des Jahres 1955. In ihrem „Studio of Physical Re-Education“ – dem Studio für körperliche Umerziehung – am eleganten Rossleigh Court, Central Park West in New York wartet eine Dame mit deutschem Akzent auf ihre Schülerinnen und Schüler. Nach und nach füllt sich der helle Raum mit jüngeren und älteren Damen, auch einige Herren nehmen ihre Plätze ein. Es liegen Gymnastikmatten bereit – und Strohhalme. „Alles beginnt mit der Atmung“, erklärt Carola Speads ihren aufmerksamen Zuhörerinnen, bevor es mit den Übungen losgeht: Durch die Nase einatmen, die Luft kurz anhalten, innehalten, durch den Strohhalm die Luft herauslassen, und kurz vor dem Ende des Ausatmens den Strohhalm entfernen. Den Rest durch die Nase ausatmen. Der Vorgang wird wiederholt. Durch den unterbrochenen Exhalationsvorgang atmen die Schülerinnen mehr Luft ein als gewöhnlich und liegen schließlich ganz entspannt und erfüllt von all dem Sauerstoff, der ihren Körper durchströmt, auf ihren Matten. Tiefe Entspannung, freies Atmen: Genau das ist es, wonach sich viele gestresste New Yorker in diesen Tagen sehnen.

Das Studio der deutschen Lehrerin ist ein Tipp für alle, die es sich finanziell leisten können: Berühmte Sängerinnen und Sänger vom Broadway, bekannte Tänzerinnen und Tänzer und eine Vielzahl gehetzter Banker und Büromenschen, allesamt getrimmt auf Ehrgeiz und Effizienz, buchen Stunden bei ihr, um den eigenen Körper besser wahrzunehmen. Und: um besser zu singen, klarer zu sprechen, an Ausdruck zu gewinnen und bei all dem ruhig und entspannt zu sein.

Wer war diese Frau?

Geübt wird wöchentlich in der Gruppe oder im Einzelunterricht – vor allem aber auch zu Hause. Der ideale Zeitpunkt: am frühen Morgen, für etwa zehn Minuten. Wer mag, übt länger. Carola rät zum Schneidersitz, leicht bekleidet, barfuß. Zur Anleitung hat sie diverse Experimente notiert, die sie ihren Anhängern erklärt: das Strohhalm-Experiment, das Hauchen auf den Handteller, das Summen, das Strecken. All diese Übungen zur Selbsterkundung werden Jahre später in ihr Buch „Breathing“ einfließen, und eine ihrer Schülerinnen