Die Kunst, bei uns zu bleiben

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Auf der Suche nach dem wahren Selbst, nach dem, was uns wirklich ausmacht, gingen Menschen in alten Zeiten in die Wüste. Dort stellten sie sich ihren inneren Dämonen und lernten die Kunst, sich selbst auszuhalten, bei sich zu bleiben. Gegenwärtig zu sein. Eine Kunst, die auch heute die Kraft besitzt, unser gesamtes Dasein zu verändern, wenn wir bereit sind, sie zu erlernen. Und das können wir sogar daheim

TEXT CHRISTIANE SCHÖNEMANN BASIEREND AUF TEXTEN VON ANSELM GRÜN (DIE KUNST BEI SICH ZU BLEIBEN, GÜTERSLOHER VERLAGSHAUS, 161 S., 18 €) ILLUSTRATION HÉLOÏSE ROBIN/IZOU

Stille ist kein Zustand der Langeweile, in dem nichts existiert, sondern jener kostbare Moment, in dem alles immer klarer wird – und in dem wir irgendwann schließlich unserem wahren Selbst begegnen. „Das Leben jedes Menschen ist ein Weg zu sich selber hin“, schrieb einst Hermann Hesse. Damit will er uns sagen, dass wir letztendlich unser Leben führen, um uns selbst zu finden, unabhängig davon, welche Form unser Dasein jetzt auch haben mag. Was uns auf unserem Weg zu uns hilft, ist Rückzug, ist Ruhe, ist das Allein-Sein mit uns. Tief in unserem Herzen sehnen wir uns alle danach, endlich bei uns anzukommen, sehnen uns nach innerem Frieden. Doch sobald es tatsächlich vollkommen still ist, werden wir nervös. Diese angespannte Unruhe hängt laut Pater Anselm Grün damit zusammen, dass wir uns selbst nicht aushalten, weil wir Angst haben, dass unangenehme Emotionen und quälende Gedanken in uns hochkommen und wir vielleicht erkennen könnten, dass irgendetwas in unserem Leben nicht rund läuft. Was also können wir tun, um die Kunst zu erlernen, bei uns zu bleiben? Uns auszuhalten? Alles beginnt damit, dass wir zulassen, was geschieht, uns nicht bewerten und vergleichen. Denn wir alle werden angenommen, akzeptiert – so wie wir sind – von Gott, von Buddha, vom Universum … Jeder von uns verfügt über diesen inneren Raum, in den wir uns zurückziehen können, wenn wir uns nach Klarheit, nach Trost oder nach Seelenfrieden sehnen. Die früheren Mönche bezeichneten ihn als Zufluchtsort – an diesem Ort sind wir geschützt und dürfen einfach sein, ohne etwas leisten oder beweisen zu müssen. Ende des 3. Jahrhunderts zogen die ersten Männer in die Wüste, um dort in völliger Abgeschiedenheit allein zu sein. Die „Wüstenväter“ machten sich auf die Suche nach einem authentischen christlichen Leben. Damals galt die Wüste als ein Ort der Dämonen. Die wollten sie bezwingen und sich in der Stille und Weite der eigenen Wahrheit stellen. Ihre über 1600 Jahre überlieferte Weisheit hat eine bemerkenswerte