JOHN COLTRANE

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„Ich kann nichts tun, wenn es nicht ins Extreme geht“, sagte John Coltrane über sich. Mit dieser Haltung überwand er alle Grenzen und wurde zum genialsten Jazzmusiker seiner Zeit. Der Klang seines Saxofons war so klar und intensiv, wie er nie wieder ertönte

TEXT JUTTA JUNGE FOTO K. ABE/SHINKO MUSIC/GETTY IMAGES LEE FRIEDLANDER ALAYAH KADEH/MAURITIUS IMAGES ALAMY SHUTTERSTOCK PR

WEISHEIT

Jeder Mensch auf Erden trägt sein eigenes Mosaik in sich. Es ist ein aus unendlich vielen Erfahrungen, Erkenntnissen und Wahrnehmungen zusammengesetztes Lebensbild, das Freud und Leid widerspiegelt. Manche Lebensbilder sind hell und glänzend, andere dunkel oder verschwommen. Sie zeigen Abzweigungen und Kursänderungen und markieren die besonderen Momente unseres Lebens. Manchmal funkelt es in einem Lebensmosaik, als sei eine große Hingabe, ein außergewöhnliches Talent oder eine seltene Berufung darin verborgen. Als John Coltrane am 23. September 1926 in einer Kleinstadt in North Carolina im Süden der USA das Licht der Welt erblickt, weist nichts, rein gar nichts darauf hin, dass sich sein Lebensweg von dem aller anderen Menschen in seinem Umfeld unterscheiden wird. Seine Eltern wünschen sich für den Sohn eine gute Schulausbildung und einen starken Glauben, vielleicht in anderer Reihenfolge. Doch niemand kann ahnen, dass John Coltrane einmal als eines der größten Jazz-Genies aller Zeiten in die Musikgeschichte eingehen wird. Ein funkelndes Mosaik?

Seine Kindheit ist ein Ort der Sicherheit

Die Familie ist das sichere Universum, in dem John sich in den ersten Jahren seines Lebens bewegt. Sein Vater John Robert ist Schneider, ein sanfter, freundlicher Mann, der zum eigenen Vergnügen Geige spielt. Die Mutter Alice Blair stammt aus einer strenggläubigen Familie. Sie hat ein College besucht, kann Klavier spielen und wäre gerne Opernsängerin geworden. Beide Großväter sind methodistische Priester, und so ist es kein Wunder, dass das Familienleben stark von der Religion geprägt ist. Feste Rituale durchziehen das Leben der Coltranes und geben dem kleinen John Halt. Seine Kindheit ist ein Ort voller Zuverlässigkeit und Sicherheit. Alles ändert sich, als im Jahr 1939 sein Vater, sein Großvater und der Onkel kurz nacheinander sterben. Was für ein Verlust! Binnen weniger Monate muss John dreimal Abschied nehmen und sich mit dem Tod dreier geliebter Menschen auseinandersetzen. Es fühlt sich an, als habe seine Seele einen Riss bekommen. Kinder haben eigene Vorstellungen, sie wissen und gleichzeitig wissen sie nicht. Irgendwie jedoch erahnen sie die Größe des Todes. Sie erspüren es an feinsten Signalen, die