Noch ganz sauber?

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Standpunkt

Erstaunlich: Wer im Frühjahr putzt, hat auch den Kopf wieder frei

Gründlich reinemachen? Das tut auch der Seele gut
FOTO: NATALIE JEFFCOTT/STOCKSY

Meteorologisch, kalendarisch, phänologisch – der Frühling beginnt gleich mehrfach. Vermutlich weil wir uns so über Licht und Wärme freuen. Wann der Winter endgültig vorbei ist, lässt sich aber auch an allerhand anderen Zeichen definieren: mit dem Rauswurf des Tannenbaums (das kann vom 25. Dezember bis Ostern reichen), den ersten Schneeglöckchen, die eigentlich Schneeglückchen heißen müssten, oder dem ersten Cappuccino vor dem Café. Für viele aber ist der furorische Frühlingsbeginn entscheidend. Der setzt ein, wenn zum ersten Mal wieder Sonnenstrahlen auf die Fenster treffen. Erste Reaktion: Hurra! Die zweite: Eimer, Lappen, Sidolin. Dann turnt, wischt und wienert man wild wie Freddie Mercury zu „I Want to Break Free“ so lange, bis die Sonne auch durch die Fenster dringen kann und die Scheiben funkeln wie Diamantringe. Und bizarrerweise auch (fast) so glücklich machen.

Doch ein Diamant macht noch keine Kronjuwelen, und die Fenster sind nur der Beginn eines Putzwahns, der leicht ein ganzes Wochenende dauern kann. Denn plötzlich sieht man auch den Rest in einem anderen Licht: wie diese Ecke in der Küche, in der Leergut, Körbe und Olivenölkanister aus dem letzten Italienurlaub lagern. Die angelaufene silberne Teekan- ne, die in den letzten Monaten der treuste Begleiter war. Und der Gewürzschrank, in dem sich die Reste von Piment und Vanillezucker von der Weihnachtsbäckerei verkrümelt haben. Was sich Monate weggeduckt hat, schnipst jetzt nach Aufmerksamkeit. Erst wenn alles sortiert, gesaugt, geschrubbt ist, kann man sich mit reinem Gewissen und Haushalt den hedonistischen Freuden des Frühlings zuwenden.

Putzen kann ein Gefühl von Kont rol le geben

Doch warum erblühen mit der Natur Sätze wie „Da bekommt man richtig Lust zu putzen“? Sind wir von unseren Müttern so konditioniert? Opfer eines satanischen Hauswirtschaftsrituals? Im K lischee der blitzblanken Fünfzigerjahre gefangen? Zum Glück hilft die Wissenschaft über diese Verunsicherung hinweg: Das Ritual des Frühjahrsputzes ist kein Relikt aus Zeiten der biederen, unemanzipierten Bundesrepublik. Schon die

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