Die Welt der Alternativ-Therapien Floge-8

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Heilen mit Kälte

Auf den ersten Blick könnte einem die Kältetherapie unsympathisch sein: Wir frieren nicht gerne und eine angenehme Wärme gehört zur Grundlage des körperlichen Wohlbefindens. Schon früh aber haben Ärzte und medizinische Laien beobachtet, dass ein zeitlich begrenzter Kältereiz auch ein Heilmittel sein kann. Berühmt wurden Pfarrer Sebastian Kneipp und der autodidaktische Naturheiler Vincenz Prießnitz für ihre Wasser- und Kältetherapie. Beide behandelten im 19. Jahrhundert Tausende Patient*innen mit kalten Güssen, kalten Bädern sowie Waschungen und verzeichneten damit bei einer Vielzahl von Erkrankungen enorme Erfolge.

Heute ist belegt, dass Kneipp und Prießnitz richtig lagen: Reizen wir den Körper, fordern wir ihn aktiv, dann beginnt er seine Selbstheilungsfähigkeit zu verstärken. Dies ist im Übrigen auch das Prinzip der gesunden Wirkung von Sport und Bewegung. Bei der Therapie mit Wärme und Kälte, der Thermotherapie, wird der Körper durch eine überdurchschnittliche Temperaturanwendung stimuliert, auf die eine Gegenreaktion folgt. Bei der Sauna ist es zum Beispiel das Schwitzen. Die typische Gegenreaktion nach einem Kältereiz ist, dass sich der Körper wieder erwärmt. Wir kennen dieses Phänomen aus der Kindheit: Wenn wir nach einer Schneeballschlacht in einen warmen Raum kamen, begannen unsere Hände zu glühen. Damit ist auch schon das wichtigste Prinzip der Kältetherapie erklärt: Kälte soll keine Kälte erzeugen, sondern im Gegenzug die körpereigene Wärmeproduktion anregen und den Körper stärken und abhärten. Im Medizinjargon nennt man dieses Prinzip Hormesis, was im Griechischen „anstoßen“ oder „anschieben“ meint.

Die richtige Dosierung Die Wärme- und Kälteregulation beeinflusst den Körper vielseitig, vor allem reagieren Blutgefäße und Blutdruck, Herz und Lungen, aber auch der Stoffwechsel, der Blutzucker und nicht zuletzt das Immunsystem. Wird der Körper beispielsweise mit Kaltduschen, kalten Güssen oder dem kalten Tauchbad nach der Sauna gegen Kälte „trainiert“, funktioniert auch die körpereigene Abwehr gegen eine Erkältung besser. Es ist also der richtig dosierte Kaltreiz, der die Gesundheit fördert, und nicht das Verbringen des ganzen Tages bei komfortablen 22 Grad Celsius Raumtemperatur. Die Kunst ist, die richtige Dosierung zu finden. Genauso wie ein Marathonlauf eher ungesund, eine Stunde Walken in der Natur aber gesund ist, kann Kälte vitalisieren und stärken, jedoch wenn sie zu stark ist oder zu lange dauert, schwächen und eine Erkältung verursachen.

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen ist Professor für Klinische Naturheilkunde der Charité Berlin und Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Ernährungsmedizin, das Heilfasten und die Mind-Body-Medizin. Diese Kolumne schreibt er im Wechsel mit Dr. Isabel Bloss,