SEIN MIT DEM, WAS IST

6 min lesen

Der tiefe Wunsch nach Lebendigkeit hat Christian Dillo zum Buddhismus geführt. Im Interview erläutert der Zen-Lehrer und Autor die kleinen und großen Schritte der Transformation, die uns aus seiner Erfahrung dem Gefühl näherbringen können, ganz und gar lebendig zu sein – nicht nur in ganz besonderen Momenten, sondern eigentlich immer …

FOTOS: BRIAN ASARE & DAIGA ELLABY / UNSPLASH

Du hast kürzlich ein sehr umfassendes Buch über den Zen-Buddhismus geschrieben, dessen Ausgangspunkt und roter Faden die Lebendigkeit ist. Wie gehört das zusammen?

Darauf habe ich zwei Antworten: Zum einen hatte ich selbst früher das Gefühl, nicht wirklich lebendig zu sein. Das ist sozusagen mein Lebensthema: Wie kommt es, dass wir biologisch am Leben sein können und uns nicht lebendig fühlen, obwohl eigentlich alle Bedingungen gegeben sind? Auf dieser Suche habe ich die buddhistische Praxis entdeckt. Und durch die Praxis hat sich das verändert.

Und das zweite?

Ich beobachte, dass es in unserer zeitgenössischen Spiritualität eine Tendenz gibt, das Bewusstsein weiter vom Körper zu trennen und einen geistigen Raum zu postulieren, der von allem abgelöst ist: einen absoluten Geist. Als Idee ist das vielleicht sinnvoll. Aber es ist mir wichtig, das immer wieder zurückzubinden an das Erleben, das Spüren des eigenen Körpers, weil ich sehe, dass da der Sitz der Lebendigkeit ist. Deswegen habe ich die buddhistische Idee von Befreiung mit der Lebendigkeit zusammengeführt.

Du beschreibst Lebendigkeit in deinem Buch als „Fluss der Aufmerksamkeit“

Ich spreche eigentlich von vier wesentlichen Elementen, mit denen wir auf dem spirituellen Weg arbeiten, um die biologische Lebendigkeit in eine vollständige Lebendigkeit zu verwandeln. Aufmerksamkeit ist eines dieser Elemente, die anderen drei sind: Empfindung, Absicht und Denken. Der Übungsweg beruht auf einem Zusammenspiel dieser vier.

… aber du beginnst mit der Aufmerksamkeit.

Wenn die Aufmerksamkeit verklebt ist mit dem Fluss der Gedanken und Bilder im eigenen Kopf, dann trennen wir uns von den leiblichen und sinnlichen Empfindungen ein Stück weit ab. Deswegen ist es erst einmal wichtig, die Aufmerksamkeit von ihrer Verflechtung mit dem Denken zu befreien, so dass sie frei fließen kann im Bereich der Empfindung.

Welche Rolle spielt das Denken?

Man kann das Denken von der buddhistischen Philosophie her auch als eine Sinneswahrnehmung verstehen: Über Gedanken nehmen wir Ideen wahr, so wie wir mit den Augen Sehempfindungen haben. Aber das Denken kann sich eben auch rekursiv auf all die verschiedenen Sinneskanäle und sich selbst beziehen. So bilden wir Konzepte und Geschichten, die wir dann gerne mit der Wirklichkeit verwechseln. Um alle Elemente wieder in einen freien Fluss zu bekommen, müssen wir erst einmal mit der Aufmerksamkeit ar