HEILIGER SEX?

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Kamasutra, Tantra, Neo-Tantra, Yoga – wie gehört das alles zusammen? Und gibt es das tatsächlich: eine spirituelle Sexualität? Anna Trökes erklärt die Unterschiede und Zusammenhänge.

Die erotischen Szenen vom Lakshmana-Tempel im indischen Khajuraho sind über 1000 Jahre alt. Seine vielgestaltigen „göttlichen Liebespaare“ (Maithunas) werden oft als Illustration zum Kamasutra verwendet.
FOTOS: SHUTTERSTOCK, ANNA TRÖKES, STEPHANIE SCHAUENBURG

Wer schon mal etwas länger in Indien war, wird festgestellt haben, dass einem die Menschen dort – insbesondere die Frauen – für unsere Verhältnisse ungewohnt prüde erscheinen. Noch immer ist es auch für uns Frauen aus dem Westen in vielen Gegenden des Subkontinents undenkbar, mit einem kurzen Rock oder in einem schulterfreien Hemdchen herumzulaufen. Gleichzeitig sieht man in jeder Buchhandlung dicke Bildbände, in denen mit freizügigen Zeichnungen oder Fotos die sexuellen Techniken des Kamasutra vorgestellt werden. Außerdem denkt man bei den Stichworten Sex und Indien auch sofort an Tantra. Im Lauf der Zeit haben sich viele Missverständnisse zu diesen Themen etabliert. Wie verhält es sich wirklich mit dem Verhältnis von Yoga und Sex, von Tantra und Kamasutra?

Das Kamasutra – die Wissenschaft vom Begehren

Als das Kamasutra im 3. Jahrhundert nach Christus von Vatsyayana verfasst wurde, gab es in Indien schon eine lange Tradition der Sexualwissenschaft. Das hat damit zu tun, dass das bewusste Ausleben der Sexualität zu den vier Grundwerten gehört, die jeder Hindu in seinem Leben verwirklichen soll: Dharma – Moral Verantwortung, Artha – Wohlstand, Besitz, Kama – Sexualität, Genuss und Moksha – Spiritualität, Erlösung. „Diese vier Werte“, schreibt der indische Religionswissenschaftler Vanamali Gunturu in seinem Buch über das Kamasutra, „bilden die vier Bereiche des Wissens oder der Wissenschaften, die Shastras, des traditionellen Indien.“ Bei all diesen Grundwerten geht es darum, dass Menschen lernen, ihr Leben bewusst zu gestalten und das eben nicht nur in moralischer und wirtschaftlicher, sondern auch in sexueller Hinsicht. Dieser Hintergrund ist wichtig für das Verständnis des Kamasutra: Es fasst das erotische Wissen der Zeit zusammen und stellt Sexualität als etwas dar, das alle Bereiche eines Menschen – Männer wie Frauen – beeinflusst und einen wesentlichen Teil der Lebenskunst ausmacht. „Im Kamasutra geht es (...) um den gesamten Menschen, um seinen Körper, seinen Geist, seine Seele und sein soziales Verhalten“, schreibt Gunturu. Allerdings richtet sich der Text wohl nur an eine wohlhabende städtische Bevölkerungsschicht, die es sich leisten konnte, sich Kunst, Kultur und einer Verfeinerung ihres Lebensstils zu widmen. Und was noch wichtiger ist: Diese Form von kultivierter Lust hatte kein spirituelles Anliegen – auch wenn das den Lehren des Kamasutra oft