YOGASUTRA

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QUELLENTEXTE DER YOGA-PHILOSOPHIE

DER LEITFADEN FÜR EIN GLÜCKLICHES DASEIN

Wenige antike Texte werden im modernen Yoga so oft zitiert und interpretiert wie diese 2500 Jahre alten Lehrsätze. Abseits gelehrsamer Kommentare zeigt unsere Autorin Sybille Schlegel im zweiten Teil unserer Reihe auf, wie das Yogasutra unsere Praxis – und unser Leben – damals wie heute bereichern kann.

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„Yoga ist der Zustand, in dem man nichts vermisst.“ Diese Definition von Brahmananda Sarasvati ist eine meiner liebsten – nicht nur für Yoga, sondern auch für Glück: ruhig, erfüllt, dankbar. Nichts, das einen irgendwohin treibt oder die Gedanken umtreibt. Ein Moment des Seins. Ohne nach dem Sinn und Zweck dafür zu suchen. Das Yogasutra des Patanjali ist ein Text, der uns dabei unterstützt, diesen Zustand zu finden und zu genießen.

SCHEIN, LEID, ERKENNTNIS

1786, nur wenige Jahre, bevor die französische Königin Marie-Antoinette ihren Hals unter die Guillotine legen musste, wurde sie Mittelpunkt eines Politthrillers: Es ging um ein Collier aus einzigartig reinen und großen Diamanten. Jeder einzelne war für sich schon ein Vermögen wert – und die gesamte Halskette sogar für den König zu teuer. Die sogenannte „Halsbandaffäre“ erzählt von politischem Kalkül, Prunksucht, Habgier, Diebstahl und Betrug, denn der unfassbare Wert der Glitzersteine holte in allen Beteiligten ihre dunkelsten Seiten hervor. Und das Ende der Geschichte war: jede Menge Blut. Hat die Autorin vergessen, worüber sie schreiben wollte? Natürlich nicht. Die Halsbandaffäre gibt nur ein dankbares Beispiel dafür, wie die Welt der Sinne, der Wünsche, Sehnsüchte und des Wollens – wie der Fokus auf das scheinbar Wertvolle – in einen dynamischen Prozess des Verderbens führen kann. Aber so funktioniert der Mensch normalerweise: Die Sinne geben einen Eindruck, der Geist knüpft daran eine Bewertung: Wollen oder Ablehnen (Raga oder Dvesha), und dementsprechend wird gehandelt. „Wegen Gier, Hass und dem Missverstehen darüber, was wirklich (wichtig) ist,“ sagt auch der Buddha, „ist das Leben leidvoll.“ Aber das muss nicht zwangsläufig so bleiben: „Zukünftiges Leid soll vermieden werden!“, fordert Patanjali. Und er erklärt auch, wie: Erstens muss man sich der Zusammenhänge bewusst werden, die zu Leid führen, und zweitens muss man die eigene Handlung und Geisteshaltung so verändern, dass Leid als Folge ausbleibt. Dafür, sagt Patanjali, muss man drittens: üben, üben, üben.

PATANJALI – WER IST DAS UND WENN JA, WIE VIELE?

Bevor wir tiefer einsteigen, noch ein Blick auf den Verfasser des Yogasutra: Patanjali. In der antiken indischen Welt stößt man dreifach auf diesen Namen: Er wird genannt als Autor eines Werks über Sanskrit-Grammatik, eines Werks über Ayurveda und als