LAUSCHEN UND EMPFINDEN

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DIE KUNST DER ABSICHTSLOSEN BERÜHRUNG

Sie will nichts erreichen und kann Menschen doch tief berühren: Die absichtslose Berührung ist eine wunderbare Übung in Achtsamkeit, eine Meditation zu zweit. Wir sollten sie häufiger üben – im Yogaunterricht und auch sonst.

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„Darf ich dich anfassen?“ Es ist respektvoll und einfach, diese Frage zu stellen. Sie klärt das Feld und die Atmosphäre in einer Yogastunde und ist die unabdingbare Voraussetzung für alles weitere, was mit Berührung zusammenhängt. Hilfestellungen kennen die meisten von uns aus dem Yogaunterricht: Sie wollen ausrichten und unterstützen, schützen und weiterhelfen. Im besten Fall sind sie angemessen, lehrreich und voller guter Absichten. Die absichtslose Berührung hat einen anderen Geschmack. Am schönsten findet sie im Austausch statt. Sie ist eine Meditation zu zweit, altes tantrisches Wissen im Gewebe des Lebens, unspektakulär und wahrhaftig.

Die Form spielt dabei nur insofern eine Rolle, als es für beide eine einfache und angenehme Körperhaltung sein soll. Es ist schön, sich über das, was man empfunden hat, auszutauschen. Eigene Wor te dafür zu finden, hebt das Erleben ins Bewusstsein. Das hat auch ein ganz kleines bisschen was davon, seine eigene Geschichte zu erzählen. Das Eigentliche dabei ist aber das, was nicht gemacht, sondern entdeckt wird. Eine absichtslose Berührung zwischen Menschen ist wie der Schritt durch den Spiegel in einen eigenartigen Raum ohne Eigenschaften, einen Raum des Lauschens und Empfindens. Der eine Mensch bleibt gegenwärtig in dem, was er in seinen Händen spürt, der andere in der Empfindung seines Körpers, wo er berührt wird. Gegenwärtigkeit ist plötzlich ganz einfach, wenn man eine wertfreie, meinende Berührung erlebt.

Es ist gar nicht so leicht, das „Gutes-tun-Wollen“ auszuschalten und einfach da zu sein. Berühren, ohne einen Impuls zu setzen. Aber man kann sich immer wieder dafür entscheiden: Sich bewusst zurücknehmen, wenn man in die Gewohnheit der Massage oder Energieübertragung abgleitet oder wenn man zu wissen glaubt, was für diesen Menschen jetzt gut wäre. Auch darüber kann man sich austauschen und lachen. Es kann ja gar nichts passieren, wenn man nichts mehr beweisen muss. Erst übt man, dann vertraut man und schließlich entdeckt man. Es ist eine sehr freudvolle Meditationspraxis, die wie jede andere Praxis auch ihre Zeit zum Reifen braucht.

Mit der Zeit wird man feststellen, wie sich eine Verfeinerung in jede Art von Berührung einschmiegt, einfach dadurch, dass man präsent und bewusst empfindet. Für Yogalehrende ist das ein großer Schatz, wenn sie beim Unterrichten Hilfestellungen anbieten: Ich befinde mich mit dem Menschen, der gerade einen Hund macht, in einem gemeinsamen Bewusstseinsfeld. Und dieses Feld wirkt auf uns beide ein. Wenn ich meine Hände auf das Becken