TANTRA UND YOGA

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Das Image von Tantra ist einseitig (irgendwas mit Sex und Massage?), die philosophische Tradition dagegen reicht tief in die Wurzeln des Yoga hinein - und kann uns zu einem besseren Verständnis der Praxis verhelfen. Wir werfen ein paar Schlaglichter auf die Frage, wie wir Tantra heute leben können.

Shiva - der Legende nach war er der Schopfer des Yoga und des Tanzes. Auch der Tantrismus wurzelt im Kult um diesen Gott.
FOTO VASSIL/WIKIPEDIA
Das Weibliche wird in der indischen Kultur nicht überall gewürdigt – im Tantra aber spielt es eine zentrale Rolle. So wie auf dieser Skulptur aus dem Musée Guimet.
Was Tantra ausmacht- und warum er so wichtig für unser Verständnis von Goga ist

Egal ob du Sivananda-Yoga übst, Iyengar, Ashtanga, Vinyasa, Yin Yoga oder einen der unzähligen anderen Stile und Schulen, die wir modernen Yogi*-nis kennen: Sobald du Asana übst und Yoga über deinen Körper erfährst, praktizierst du eine Form von Hatha-Yoga. Und sobald du Hatha-Yoga übst, stehst du in der Tradition von Tantra. Auch wenn es dir bisher vielleicht nicht bewusst war: Ohne die revolutionären Ideen, die wir unter dem Namen Tantra zusammenfassen und die ab etwa 600 nach Christus die indische Philosophie und Spiritualität buchstablich vom Kopf auf die Füße stellten, ist Yoga, wie wir es heute kennen, eigentlich undenkbar.

Bislang lagen diese Zusammenhänge und überhaupt die Ursprünge von Hatha-Yoga weitgehend im Dunkeln. Erst in den letzten drei Jahrzehnten haben die Forschungen zu diesem Thema in bisher ungekanntem Maß zugenommen. Maßgeblich für viele neue Erkenntnisse waren die Recherchen des 2015 an der University of London (SOAS) gegründeten „Hatha Yoga Project". Es hat sich zur Aufgabe gemacht hatte, viele noch unbekannte Quellentexte zu sichten, zu übersetzen und zu veröffentlichen. Das dabei gesammelte Wissen kann uns nun helfen, einen neuen Blick auf Tantra und Hatha-Yoga zu werfen und besser zu verstehen, worin Hatha-Yoga gründet und worum es bei seinen traditionellen Konzepten und Übungswegen eigentlich geht. Mir selbst jedenfalls hat es noch einmal einen vollig neuen Blick auf Yoga eröffnet.

DIE WURZELN DES YOGA

Eine der wichtigen Erkenntnisse ist dabei die Bedeutung des Shivaismus: In den Anfangen der tantrischen Bewegung war die Verbindung von Yoga und Asketismus von zentraler Bedeutung - und der Gott Shiva galt als Prototyp eines Yogis und Asketen. Er soll nach indischer Überlieferung den Menschen den Weg des Yoga offenbart und sie in seinen Methoden unterwiesen haben. So sollte Yoga es dem Menschen ermöglichen, das in ihm ruhende Bewusstsein in seinem tiefsten Wesenskern zu erfahren. Die Forschungen der letzten Jahre machen deutlich, dass diese shivaitisch-tantrischen Traditionen nicht nur sehr weit verbreitet waren, sondern auch prägend für das indische Mittelalter, also vom 5. bis 13. Jahrh