Wissender, WEISER, Welterklärer

3 min lesen

Vor 100 Jahren wurde der namhafteste deutsche Journalist unserer Zeit geboren. Einer, der wie kein zweiter ganze Generationen von Zuschauern und Lesern die Welt erklären konnte – auch regelmäßig exklusiv in tv Hören und Sehen

FOTOS: ULLSTEIN BILD; PRIVAT

Man konnte ihn fragen, wie der Anführer einer abtrünnigen Rebellen-Provinz im hintersten Kongo-Dschungel Mitte der 1970er-Jahre hieß, und er buchstabierte den Namen. Man konnte ihn wegen der Zeitverschiebung nachts in einer Badewanne in seinem Hotel in Ost-Timor anrufen, und er fragte:„Das Diktiergerät läuft? Ich bin noch wach.“ So war er. Immer wach, immer erreichbar.

Peter Scholl-Latour hat Generationen von Deutschen die politische Großwetterlage erklärt. Schonungslos, kompetent, oft deutlich und standhaft gegen den Zeitgeist. „In seiner Welt hatte ,political correctness’ keinen Platz. Ihm ging es nie darum, Gefälligkeiten auszutauschen“, sagt Ulrich Wickert, der 1969 als Aushilfs-Redaktionsassistent in Scholl-Latours Pariser ARD-Studio angefangen hatte.

Der Sohn eines saarländischen Arztes und einer jüdischstämmigen elsässischen Mutter hat alle wichtigen Posten im deutschen Journalismus bekleidet, vom Hörfunk-Reporter, Nachrichtenmagazin-Chefredakteur, Auslandsstudio-Leiter über den WDR-Fernsehdirektor (auch als Erfinder des „Tatorts“ und der „Sendung mit der Maus“) bis zum Sonderkorrespondenten auf vier Kontinenten. Alle seine 37 Bücher waren Bestseller, sein„Tod im Reisfeld“ über die Indochina-Kriege in Südostasien (wo er schon als französischer Fallschirmjäger gekämpft hatte) ist bis heute das meistverkaufte deutsche Sachbuch der Geschichte.

Zwei Jahrzehnte lang hat Peter Scholl-Latour auch den Leserinnen und Lesern von tv Hören und Sehen die Welt erklärt. Fast jede Woche, bis zu seinem Ableben im August 2014, mit 90 Jahren.„Meine Biografie“, so scherzte er gerne gegenüber Freunden, „die schreibe ich erst, wenn ich mal alt bin.“

Stempel von zweihundert Staaten, von denen mancher lange untergegangen ist, hatte er in seinen Pässen – seinen deutschen wie französischen. Er hat die ganze Welt gesehen. Den großen Luxus wie das schlimmste Elend. Frohgemut blieb er immer, wenngleich er bis heu-te immer recht behalten hat bei seinen illusionsfreien, oft düsteren Prognosen über Israel und Palästina, Irak und Iran (dessen revolutionäre islamische Verfassung er 1979 in seiner Aktentasche im Flugzeug an der Seite Khomeinis nach Teheran geschmuggelt hat), Arabien und die USA, China und Taiwan, die EU und die anschwellenden Flüchtlingsströme. Fast alles, was uns heute in Atem hält, ist so eingetreten, wie er es vorausgesagt hat in seinen TV-Dokumentationen, Büchern und Interviews.