tip Berlin
16 September 2020
Liebe Leserinnen und Leser, Kreuzberg war und ist noch immer der zuverlässigste Seismograph für die Verfassung Berlins. Das war vor der Wende so, als man sich in dem migrantisch geprägten Arbeiterbezirk mit der ewig langen Grenze zu Ost-Berlin wirklich nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass West-Berlin mitten in der DDR lag, ohne Subventionen aus Bonn ziemlich am Arsch gewesen wäre und Migranten nur in Sanierungsfall-Gegenden Wohnungen fanden. Wobei... Vor allem die türkische Community machte einen los, was wiederum andere Menschen mit vielen Ideen und wenig Kohle in diese Nachbarschaft zog. Diese Mischung war trotz Randlage attraktiv. Nach dem Mauerfall war Kreuzberg der einzige Westbezirk, in dem man leben konnte, ohne seine Szene-Credibility zu verlieren. Und dann, ich spule jetzt mal so 27 Jahre vor, stiegen nirgendwo in der Stadt die Mieten so sprunghaft wie zwischen Oberbaumbrücke und Landwehrkanal, weil das globale Hipstertum dorthin drängte und die Urkreuzberger sich auf einer Dauerparty wiederfanden. Und nun? Unter Pandemiebedingungen und ohne Touristen? Jetzt hat Kreuzberg Kater. Es sieht ziemlich düster aus, wie unser Autor Philipp Wurm festgestellt hat. Dealer gehen hungrig ins Bett, weil die Drogentouris fehlen. In den Spätis herrscht provinzielle Ruhe. Viele Kreuzberger*innen ringen ums finanzielle Überleben. Und um ihre lässige Globalität. Doch das wäre nicht Berlin, wenn wir uns da nicht irgendwie rauswurschteln würden. Bleiben Sie gesund, Ihre Stefanie Dörre, Chefredakteurin
...Mehr lesen