Der Mann, der Haldenwang war

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G. K. CHESTERTON: „DER MANN, DER DONNERSTAG WAR“

G. K. Chestertons bizarre Geheimdienstler-Groteske „Der Mann, der Donnerstag war“ eröffnet Parallelen zur heutigen politischen Situation. Chestertons Anarchistenrat erscheint besonders bizarr, weil er komplett aus Undercover-Spitzeln besteht – der Gangsterboss ist Polizeiboss

Ein Buch voll unerwarteter Wendungen, rätselhafter Personen und unangenehmer Fragen: G. K. Chestertons „The Man Who Was Thursday“ („Der Mann, der Donnerstag war“) von 1908 gilt als Thriller mit einer tieferen metaphysischen Botschaft. Aber was will sie uns sagen?

Weil wir heute abgebrühte Zyniker sind, werden viele Leser wohl zur Mitte des Buchs ahnen, was der Plot zu sein scheint: dass der unheimliche, riesenhafte Oberextremist, der Vorsitzende des „Zentralrats der Anarchisten“, in Wahrheit jener mysteriöse Chef der Polizei selbst ist, der in einem stockdunklen Raum sitzend die Agenten ausgewählt hat, die den Rat der Anarchisten infiltrieren sollen.

Die Spitze der Extremistenorganisationen ist mithin fest in der Hand der Gesetzeshüter? Oder ist es umgekehrt? Und welche Motivation treibt „Sonntag“ an, den offenbar korrupten, dunklen Polizeichef? Vieles bleibt unklar und weckt zugleich sehr ungute Assoziationen.

Gilbert Keith Chesterton ist heute vor allem bekannt als Schöpfer des Father Brown, des sympathischen katholischen Pfarrers, der am laufenden Band Kriminalfälle löst. Der Schriftsteller war selbst katholischer Konvertit. In seine Bücher baute er vielfach christliche Motive und Allegorien ein. Sein 1908 veröffentlichter Agententhriller „Der Mann, der Donnerstag war“ jedoch verweigert sich einer einfachen Erlösungsinterpretation; er enthält vielmehr eine pessimistische, düstere Note, die schon Züge von Kafkas 1922 entstandenem „Schloss“ vorwegnimmt, wie der Philosoph John Gray feststellte. Kafka war begeisterter Chesterton-Leser. Was im „Schloss“ die Bürokratie, ist in Chestertons Roman die Polizei, die eigentlich für Recht und Ordnung sorgen soll, aber Quelle absurder Verwirrung und Verirrung ist.

FOTO: IMAGO/GRANGER HISTORICAL PICTURE ARCHIVE, MACROWORLD/ISTOCK

G. K. Chesterton (1874–1936) schrieb an die 80 Bücher, einige hundert Gedichte, Kurzgeschichten, Theaterstücke sowie 4000 Essays und Zeitungsaufsätze. Nicht wenige davon haben den christlichen Glauben zum Thema, den der Konvertit gegen den modernen Zweifel verteidigte. Nach seinem Tode ehrte Papst Pius XI. den Autor mit dem Titel „Defensor Fidei“ –Verteidiger des Glaubens

Die Bedrohung des Rechts und der Ordnung kommt mithin nicht von außen, sondern von innen. Es sind die Gesetzes- und Verfassungshüter, die eine pervertierte Mission verfolgen, um eine Gefahr zu stoppen, die sie selbst darstellen. Leser im Deutschland des Jahres 2024

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