Ein leidenschaftlicher Erzähler

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Der weltberühmte Schriftsteller Otfried Preußler darf nicht mehr Namensgeber eines Münchner Vorortgymnasiums sein: weil ihm zwei Jugendjahre und ein Buch in der NS-Zeit vorgehalten werden. Wer war der Mann? Ein Überblick über die vollen 90 Jahre seines Lebens scheint angebracht

Mit 16 Jahren wurde ein Bub im böhmischen Reichenberg Scharführer der örtlichen Hitler-Jugend, ein Jahr später, 1940, deren Jungzugführer. Die Erlebnisse bei der gemeinschaftlichen Arbeit auf dem Bauernhof schrieb der Junge auf; diese Erzählung erschien 1944 („Erntelager Geyer“). Ihr Verfasser, Otfried Preußler, stand da schon an der Front.

Eine selbst losgetretene „Kontroverse um Frühwerk“ („Focus“) hat nun das staatliche Otfried-Preußler-Gymnasium Pullach dazu bewogen, einen Antrag auf Loslösung von diesem Namen zu stellen. Unverzeihlich seien jene zwei Jahre, die den Namensgeber in die Hitler-Jugend führten. Es gehe um Preußlers „HJ-Karriere“ analysierte die „Süddeutsche“, die Verfemung sei notwendig „wegen HJ-Roman“, meinte der „Merkur“. Zudem habe sich der Verfasser nie hinreichend von seinem „Frühwerk“ „distanziert“.

Nachdem nun alles darüber bekannt ist, was Preußler zwischen 1939 und 1941 tat respektive unterließ, soll der Vollständigkeit halber hier nun berichtet werden, wie die restlichen 88 Jahre seines Lebens verliefen, wer dieser Otfried Preußler eigentlich war.

Am 20. Oktober 1923 wird dem Lehrerehepaar Ernestine Czervenka und Josef Syrowatka ein Sohn geboren, den man auf den Namen Otfried tauft – hinein in eine Welt, in der nach dem Versailler Vertrag sein böhmischer Geburtsort Reichenberg nicht mehr Teil der Habsburger Vielvölkermonarchie ist, sondern eingegliedert in die neu gegründete Tschechoslowakische Republik. Noch 1930 geben 30 000 Einwohner Deutsch als ihre Muttersprache an, nur etwas mehr als 6000 Tschechisch. Der deutsch-national eingestellte Vater und mit ihm der Sohn wechseln 1941 ihren Nachnamen in Preußler – in Anlehnung an eine Vorfahrin namens Praizler.

Wenn der Vater seine volkskundlichen Forschungen in Bergbauden betreibt, wo er sich Sagenstoffe aus der böhmischen Heimat erzählen lässt, nimmt er häufig den Sohn mit, der gebannt zuhört. Erzählen ist auch die Welt von Otfrieds Großmutter – Geschichten aus einem umfangreichen Buch der Volksüberlieferung, das es nur in ihrem Kopf gibt. Preußlers „Kleiner Wassermann“ (1956) huldigt einer jener Sagengestalten, „Mein Rübezahlbuch“ (1993) beginnt mit einer Erzählung darüber, wie er als achtjähriger Knirps auf einer Wanderung mit dem Vater ins Riesengebirge dem „Herrn der Berge“, der sich nicht gern necken lässt, erstmals begegnet – in Gestalt einer riesenförmigen Gewitterwolke.

1942, wenige Tage nach dem Abitur, wird Preußler als 19-Jähriger zur W

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