Am Ende nur ein Rechenknecht

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KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Künstliche Intelligenz (KI) Ist derzeit das große Thema an der Börse. Gesellschaftskritiker malen dagegen das düstere Bild einer Machtübernahme durch Maschinen an die Wand. Man sollte sich nicht kirre machen lassen – was KI heißt, denkt nicht, sondern rechnet nur schnell und ist uns eine Hilfe

Die 26 Buchstaben des lateinischen Alphabets lassen sich in unüberschaubarer Vielfalt miteinander kombinieren. Schon die Zahl der möglichen Zeichenketten mit maximal 15 Stellen liegt deutlich über einer Trilliarde. Erstaunlicherweise wird dieses Potenzial nur in homöopathischen Dosen genutzt. Gerade einmal 70 000 unterschiedliche Wörter bilden den deutschen Standardwortschatz; selbst Dichterfürsten wie Goethe oder Schiller haben nur gut 100 000 verwendet. Im aktuellen Duden finden sich 145 000 Einträge.

Diese Bescheidenheit mag gute Gründe haben, etwa Limitierungen hinsichtlich menschlicher Merkfähigkeit oder in Bezug auf die Menge der zu beschreibenden Dinge, Eigenschaften und Tätigkeiten. Das aber provoziert die Frage nach einer Gesetzmäßigkeit, die die Bildung sinnvoller Zeichenfolgen reguliert und sinnloses Kauderwelsch ausschließt. Mehr als heuristische und klassifizierende, mitunter gar höchst spekulative Beschreibungen semantischer Entwicklungen hat die Wissenschaft bislang allerdings nicht anzubieten.

So weiß niemand zu sagen, warum gerade die Zeichenfolge „Bank“ ein Sitzmöbel beschreibt, die sich nur marginal unterscheidende Buchstabenkette „Benk“ aber nicht. Unter einem „Rat“ wird gemeinhin eine Empfehlung verstanden, ein „Rad“ dagegen ist ein kreisförmiges technisches Bauteil. Und da eine „Bank“ auch ein Geldinstitut, der „Rat“ auch ein Gremium mehr oder weniger kluger Personen und das „Rad“ auch ein Verkehrsmittel sein kann, steckt Bedeutung offensichtlich nicht nur in einzelnen Worten oder Lauten, sondern auch in deren Verknüpfung miteinander. Bis hin zu Gedanken und Botschaften, die sich über mehrere Sätze, mehrere Absätze oder gar ganze Bücher erstrecken.

Würde sich diese Emergenz aus allgemeingültigen Prinzipien ergeben, könnten Texte aller Art berechnet werden. Ob Groschenheft oder Jahrhundertroman, ob Gedicht, Theaterstück oder Drehbuch, ob Reportage oder Essay, die Schriftstellerei wäre als bloße Kalkulationsaufgabe entlarvt. Als automatisierbares Handwerk, das mittels mathematischer Formalismen 26 Buchstaben, die Leerstelle als „logische Null“ und ein paar Satzzeichen gefällig und ansprechend aneinanderreiht.

„Nachbarschaft“ von Wörtern

Der erste Schritt zur Prüfung dieser Hypothese besteht in der schlichten Erfassung all dessen, was die Menschheit bereits geschrieben hat. Eine Aufgabe, die mit der heute zur Verfügung stehenden Datenverarbeitungskapazität tatsächlich zu leisten ist. So ergibt sich eine lang

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