Die Wirklichkeit des Mythos

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Über die Frühzeit Roms ist wenig bekannt. Daher sind sich Fachleute uneins, ob in dem Mythos von Romulus und Remus historische Ereignisse verwoben sind oder ob einzig archäologische Funde verraten, wie die Stadt mit den sieben Hügeln vor rund 3000 Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischenliegen.

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Sebastian Hollstein arbeitet als Wissenschaftsjournalist in Jena.

Es war eine kleine Sensation, die im Februar 2020 die Direktorin des Archäologischen Parks am Kolosseum in Rom verkündete: Man habe das »Grab des Romulus« gefunden – und damit die letzte Ruhestätte keines Geringeren als des berühmten ersten Königs der Hauptstadt Italiens. Obwohl in dem unterirdischen Raum ein steinerner Sarkophag steht, ist an dem Ort aber vermutlich nie ein Mensch bestattet worden. Vielmehr handelt es sich um ein Heroon, das Scheingrab eines Helden. In derartigen Heiligtümern verehrten auch die Griechen die mythischen Gründer ihrer Städte. Romulus fällt sehr wahrscheinlich in diese Kategorie. Aufmerksamkeit erlangte der Fund aber allemal. Vor allem weil nach wie vor die Annahme verbreitet ist, Romulus habe wirklich gelebt. Doch so gegenwärtig die antike Metropole durch ihre Ruinen heute ist, so wenige Zeugnisse liegen über die Anfänge der Ewigen Stadt vor. Altertumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die nach der Keimzelle des Römischen Reichs suchen, bewegen sich deshalb nicht selten im Zwiespalt zwischen mythischer Erzählung und Tatsachengeschichte. Während sich die einen an den schriftlichen Quellen orientieren, die allerdings lange nach dem Beginn Roms verfasst wurden, lehnen die anderen diese Herangehensweise wegen der zeitlichen Diskrepanz ab. Sie setzen auf archäologische Funde. Und eine dritte Gruppe wiederum versucht, Erkenntnisse aus beiden Positionen zu gewinnen.

Aus den ersten Jahrhunderten Roms, etwa vom späten 9. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. , gibt es nahezu keine schriftlichen Quellen, die direkt etwas über historische und politische Entwicklungen verraten. Auch archäologische Funde aus der Frühzeit beschränken sich auf wenige Bezirke, so das Forum Romanum, das Kapitol, auf dem später das Hauptheiligtum für Jupiter, Juno und Minerva lag, und den Palatin, wo heute die Ruinen der römischen Kaiserpaläste stehen. Jahrhundertelang war die Stadt immer wieder umgestaltet und überbaut worden. Bei tief reichenden Grabungen stoßen die Archäologen zudem oftmals auf Grundwasser. Die Schichten aus der Frühzeit bis in die Archaik, die im 6. Jahrhundert v. Chr. begann, lassen sich daher nur mit großem technischem Aufwand erforschen.

Aussagekräftige Beschreibungen des frühen Roms liegen ab etwa 200 v. Chr. vor – aus einer Zeit, als die zeitgenössischen Historiker selbst schon einigen Aufwand treiben mussten, wollten sie die Vergangen

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