Mama, Papa, ich will euch nie wiedersehen!

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KONTAKTABBRUCH

Eltern fallen oft aus allen Wolken, wenn die eigenen Kinder den Kontakt abbrechen. Doch die Betroffenen haben meist einen langen Leidensweg hinter sich. Was sind die Gründe? Und kann es wieder zu einer Annäherung kommen?

IMAGEMANUFAKTUR / GETTY IMAGES / ISTOCK (SYMBOLBILD MIT FOTOMODELL)

F rei wollte sie sein. Deshalb hat Sandra Fritsch den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen. Immer wieder hat sie sich von ihrer Mutter bevormundet gefühlt. »Ihre Meinung war immer die einzig wahre«, erzählt die heute 36-Jährige, die eigentlich anders heißt. Dabei gebe es doch mehrere Wege, sein Leben zu führen. Ihre ganze Kindheit über habe ihre Mutter ihr den Eindruck vermittelt, ihre Meinungen, Wünsche und Träume zählten nicht. »Sie war immer davon überzeugt, nur sie weiß, was richtig für mich ist.« Bei Entscheidungen oder in schwierigen Lebenssituationen unterstützte die Mutter sie nicht. Häufig sei sie ihr sogar in den Rücken gefallen. Nach vielen Streitereien zog sich die damals 30-Jährige komplett zurück. Fast zwei Jahre lang rief sie nicht an, schickte keine Nachrichten, kam nicht zu Besuch.

Die Eltern verstanden das nicht. Sie versuchten immer wieder, Kontakt aufzunehmen, riefen an, doch Sandra Fritsch hatte ihnen zu dem Zeitpunkt nichts zu sagen. »Gemerkt haben sie natürlich, dass ich nicht mit ihnen reden möchte, aber mehr kam erst mal nicht.«

Trotz jahrelanger Streitereien kommt ein Kontaktabbruch für Eltern oftmals aus dem Nichts. Danach beginnt für sie häufig eine Zeit, die geprägt ist von Verzweiflung, Wut, Trauer, Selbstvorwürfen – und Scham. Sie schämen sich vor anderen und fürchten, sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass ihr Kind nicht mehr mit ihnen sprechen möchte. Viele Betroffene erzählten in der Therapie, ihr Kind habe »von einem Tag auf den anderen« den Kontakt abgebrochen, sagt die Psychologin Sandra Konrad aus Hamburg.

Was Eltern meist ausblenden: Das Kind hat bis zu diesem Punkt oft einen langen Leidensweg hinter sich. Viele Mütter und Väter empfinden dann »eine wahnsinnige Ohnmacht«, sagt Konrad. »Und einen heftigen Trennungsschmerz, der körperlich weh tun kann.« Häufig versuchten sie, den Kontakt immer und immer wieder aufzunehmen. Wenn die Versuche erfolglos bleiben und Eltern die Gründe nicht verstehen, werde gerne ein Sündenbock gesucht. Dann ist zum Beispiel die neue Freundin des Sohnes schuld daran, dass er sich entfremdet hat.

Kontaktabbruch ist ein Tabuthema

Keinen Kontakt mehr zu den eigenen Kindern zu haben, gilt immer noch als Tabu. Rund 100 000 Erwachsene in Deutschland haben den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen. Diese Zahl schätzen Soziologen grob. Sandra Konrad glaubt allerdings, dass die Dunkelziffer noch viel, viel höher liegt.

Häufig gab es in der Familie der Betroffenen Gewalt oder Missbrauch. Mit

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