Wer waren die Toten unter den Häusern?

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Es war eine große Überraschung, als die Anthropologin Marin Pilloud 2009 ihre Studie zu den Verwandtschaftsverhältnissen in Çatalhöyük vorstellte. Da die menschlichen Knochen bei früheren Ausgrabungen kontaminiert wurden und sich daher nicht für eine DNA-Analyse eigneten, hatte sie die Zähne von 266 Bestatteten untersucht. Denn bei genetisch verwandten Personen ähneln sich die Gebisse.

Das Ergebnis hatte keiner der an der Ausgrabung beteiligten Archäologen erwartet: Weder gehörten die unter demselben Haus beerdigten Personen zu einer biologischen Familie – von Ausnahmen abgesehen – noch waren sie mit den Toten in den Nachbarhäusern verwandt. Die Skelette mit der größten genetischen Ähnlichkeit waren über den gesamten Ort verteilt.

Forschern um Arkadiusz Marciniak von der Universität Posen gelang es dann 2019, von Skeletten aus Çatalhöyük die mitochondriale DNA zu sequenzieren. Die Ergebnisse bestätigten Pillouds Befund: In den Genproben wurden keine Anzeichen gefunden, dass die gemeinsam beigesetzten Frauen und Kinder miteinander verwandt waren. Jetzt bestand akuter Klärungsbedarf. Waren die Verhältnisse in Çatalhöyük eine Ausnahme? Oder ließen sie sich auf ganz Anatolien übertragen? Ein internationales Team von Genetikern, Anthropologen und Archäologen analysierte daher die Kern-DNA von 59 Skeletten aus anatolischen Hausbestattungen. Die Proben stammten jeweils aus zwei Siedlungen der späten und der frühen Jungsteinzeit. In Letzteren lebten die Menschen noch vorwiegend vom Jagen und Sammeln, während die späteren Gruppen bereits zur bäuerlichen Lebensweise übergegangen waren. 2021 publizierten die Forscher ihr Resultat: In Çatalhöyük und einem weiteren spätneolithischen Ort hatten die Toten keine gemeinsamen genetischen Wurzeln. In den älteren Siedlungen dagegen waren die meisten Bestatteten biologisch verwandt.

SKELETT | Archäologen legten dieses Grab eines Kindes in Çatalhöyük frei.
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Die Forscher erklären ihre Daten mit dem Wechsel vom Wildbeutertum zur bäuerlichen Lebensweise. Die Umwälzungen im sozioökonomischen Gefüge hätten

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